Die letzte Offenbarung
üppigen Schmuck des Raumes. Mit Sicherheit gab es irgendwo einen verborgenen Mechanismus... Amadeo stolperte, musste sich an der Wand abstützen.
»Wir können doch nicht weglaufen«, sagte Pio unwillig. »Ich bin...« Er deutete nach oben.
»Nein, nein«, unterbrach Duarte ihn energisch. »Hier ist irgendetwas...« Eine abwehrende Geste. Es war bizarr: Für einen Augenblick sahen sie haargenau aus wie die Gestalten von Piaton und Aristoteles im Zentrum von Raphaels Meisterwerk.
Dann geschah alles auf einmal.
Wie eine Woge drängten die Touristen heran, und allein davon konnte einem angst und bange werden. Handys wurden gezückt, richteten sich wie Waffen auf den Heiligen Vater und seine Begleiter. Ein Gewitter von Blitzen...
Weiter hinten in der Gruppe, Amadeo kniff die Augen zusammen, da war ein junger Mann in einem Jeanshemd. Blondes Haar quoll unter seiner Baseballkappe hervor, die er umgekehrt auf den Kopf gesetzt hatte. Rücksichtslos stieß der Mann eine beleibte dunkelhäutige Frau beiseite, ohne dabei auf seinen Arm zu achten, den er in einer Schlinge trug. Er zog etwas aus der Armschlinge hervor. Ein Mobiltelefon? Einen Fotoapparat? Amadeo konnte es nicht genau erkennen. Jetzt hob der Mann die Hand, und in der Hand hielt er eine kleine, tödliche nachtschwarze Pistole.
Im selben Augenblick traf Amadeos Blick die Augen des Mannes, jenes Mannes, den er in Maria Laach niedergeschossen hatte. Der Mundwinkel des Blondschopfs zuckte ganz kurz, aber es war nicht Amadeo, auf den er die Waffe richtete.
Es blieb keine Zeit zum Nachdenken.
Die Leibwächter waren vollauf damit beschäftigt, die vordersten Reihen der Amerikaner aufzuhalten. Niemand achtete auf den Mann.
Amadeo stürzte vor. Pio stand fünf Schritte von ihm entfernt, und Duarte und einer der Leibwächter waren zwischen ihnen. Der Restaurator wusste, dass es unmöglich war: Er konnte es nicht schaffen. Der Leibwächter fuhr herum, rief etwas und versuchte Amadeo zu fassen, während Duarte ihn verwirrt anstarrte. Dann... Der commandante packte den Heiligen Vater, warf sich vor ihn.
Gleichzeitig knallte der Schuss.
Amadeo sah Blut. Blut auf der schneeweißen Soutane des Papstes. Es war... wie das Attentat auf Wojtyla. Amadeo war damals noch ein Kind gewesen, doch gemeinsam mit seinen Eltern hatte er die schrecklichen Bilder im Fernsehen verfolgt. Das Attentat... Später hatte es geheißen, die letzte der Prophezeiungen von Fatima hätte es angekündigt: Ein weiß gekleideter Bischof werde unter Pfeilen und Schüssen sterben. Wojtyla. Giovanni Paolo. Oder diese Szene?
Amadeo wurde an den Rand gedrängt. Er hielt die Mappe des Heiligen Vaters fest umklammert. Im Raum herrschte Chaos. Menschen schrien. Von dem Attentäter war keine Spur mehr zu sehen.
Der Papst lag am Boden. Ein Blutfaden rann ihm aus dem Mundwinkel. Duarte lag halb auf ihm. Zwei der Leibwächter schoben sich zwischen die Amerikaner und suchten nach dem Mann, der geschossen hatte. Einer der anderen brüllte in sein Handy. Rebecca beugte sich über papa Pio. Ihr Gesicht hatte dieselbe Farbe wie seine Soutane. Amadeo suchte sich halb am Boden den Weg zu ihr.
»Was ist mit ihm?« Er musste schreien, damit sie ihn verstand.
»Ich lebe... Ich...« De la Rosas Atem ging keuchend. »Amadeo! Die Fragmente. Sie müssen die Fragmente...«
»Die Fragmente sind jetzt unwichtig«, sagte Amadeo sofort.
»Nein!« Der Papst versuchte sich aufzurichten. »Alles steht und fällt mit den Fragmenten! Deshalb haben sie mich auch...« Ein Blutfleck begann sich über seinem Bauch auf der Soutane auszubreiten. Rebecca riss sich den Pullover vom Leibe und versuchte die Blutung damit einzudämmen, doch De la Rosa schrie auf, sobald sie ihn berührte.
»Die Ärzte sind in zwei Minuten da«, sagte Duarte und beugte sich über das Ohr des Verletzten. »Wir bringen Sie in die Gemelli-Klinik!«
»Nein!« De la Rosa bäumte sich auf, und der Blutfaden aus seinem Mund wurde kräftiger. »Nein! Bringen Sie mich in meine Räume! Bracciolini darf nicht die Amts... die Amtsgeschäfte.« Er hustete. Noch mehr Blut quoll aus seinem Mund. Schwer sackte der Verletzte zurück. »Amadeo!«, flüsterte er.
»Sua Santità?« Amadeo neigte sich über den blutenden Mann. Er war wie betäubt. Das konnte nicht die Wahrheit sein! Der Papst, sterbend zu seinen Füßen. Der Mann, den er vor einer Stunde noch für seinen schlimmsten Feind gehalten hatte.
»Die Offenbarung! Sie müssen die Offenbarung...«
Eine Tür
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