Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die letzte Offenbarung

Die letzte Offenbarung

Titel: Die letzte Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
Vom Netzwerk:
erst voll zur Geltung.«
    Helmbrecht nickte. Es war fast eine Verbeugung, die ihm Gelegenheit gab, das junge Gemüse noch näher in Augenschein zu nehmen.
    »Das ist wie mit dem Wein«, fügte sie an und präsentierte andächtig die erste Flasche.
    »1996«, sagte Helmbrecht mit einem anerkennenden Nicken. »Ein sehr guter Jahrgang!«
    »Sie kennen sich aus?«, hauchte sie bewundernd. »Ich liebe Rosso Piceno!«
    Sie stellte den Wein ebenfalls auf der Arbeitsfläche ab und liebkoste dabei den Flaschenhals.
    Schweigend wandte Amadeo sich ab.
    »Was haben Sie denn, mein lieber Amadeo?«, fragte Helmbrecht, als Chiara gegangen war. In der Hand hielt er das Gläschen mit Eisenvitriol — Eisenduophosphat — das die Tochter des capo als Letztes ausgepackt hatte. »Sie sehen so blass aus um die Nase.«
    »Das muss der Hunger sein«, sagte Amadeo. Was er von der Szene zwischen Helmbrecht und der jungen Frau hielt, wollte er besser nicht vertiefen.
    »Ist es nicht ganz reizend, dass unsere Gastgeber unsere Einladung angenommen haben?«, fragte der Professor.
    »Ganz reizend«, stimmte Amadeo zu. »Ich bin mir sicher, Ihre Frau ist jedes Mal ganz begeistert, wenn Sie für sie kochen.« Er legte so viel Betonung in die Worte »Ihre Frau«, dass es gerade noch höflich war.
    »Zu Hause komme ich leider kaum zum Kochen«, sagte der Professor bedauernd. »Aber da habe ich auch keinen Amadeo Fanelli, der mich wacker unterstützt. Geben Sie mir doch bitte mal den Rosso Piceno!«
    Schicksalsergeben reichte Amadeo ihm eine der Flaschen.
    »Wir können ihn schon einmal entkorken. Dann kann er atmen. Den parmigiano auch, bitte.« Helmbrecht hob den Käse an seine Nase. »Himmlisch. Eine Reibe haben Sie sicher drüben in der Teeküche? Die holen wir gleich.«
    Amadeo fragte sich, was Giorgio di Tomasi mit ihm angestellt hätte, wäre er auf die Idee gekommen, das geheiligte Sekretum in ein Kochstudio zu verwandeln.
    »Die pomodori ... Danke. Das grelle Licht ist nicht gut für sie. Jetzt die Papyri, bitte.«
    Als es klopfte, hatte der Professor das Manuskript eilig in einer Ablage verschwinden lassen. Jetzt balancierte Amadeo es zurück auf die wieder freigeräumte Arbeitsfläche. Helmbrecht öffnete das Gläschen mit dem Eisenvitriol und stellte es neben dem Wein ab.
    »Jedes Kind kennt Geheimtinten aus Zitronensaft oder Milch«, sagte er. »Erst wenn man das Blatt vorsichtig über eine Flamme hält, wird das Geschriebene sichtbar. Doch eine solche Tinte würde sich niemals über einen längeren Zeitraum halten, und unser Freund, der diese Fragmente im Rücken des Hortulus versteckt hat, wird das mit Sicherheit gewusst haben. Wenn er uns tatsächlich etwas mitteilen wollte, wird er einen anderen Weg gewählt haben.« Helmbrechts Finger strichen über die Papyrusfragmente, zärtlich fast. »Da brauchten wir jetzt einen Pinsel.«
    »Halten die Papyri das aus?«, fragte Amadeo. »Ich meine, Vitriol ist schon ein scharfes Zeug.«
    »Berechtigter Einwand.« Helmbrecht wiegte nachdenklich den Kopf hin und her. »Haben Sie vielleicht eine bessere Idee?«
    »Hm«, überlegte Amadeo. »Warten Sie mal.« Er öffnete eine Schublade und betrachtete das Sortiment an Pinseln. Sorgfältig wählte er den weichsten unter den Haarpinseln aus und legte ihn auf die Arbeitsfläche. »Damit besteht zumindest keine Gefahr, dass wir mechanisch etwas zerstören.«
    »Immerhin etwas«, murmelte Helmbrecht, als er das feine Werkzeug aufnahm. »Diese Brüchigkeit, das ist nicht nur das Alter, das macht die Gerbsäure. Gallussäure, wie man im Mittelalter sagte: der Saft des Gallapfels. Aber sie liefert eine der ältesten Tinten, die wir kennen. Seltsam, nicht wahr? Sie ist bis heute im Einsatz. Wissen Sie, wo?«
    Amadeo überlegte einen Augenblick, dann nickte er. »Staatsverträge«, sagte er. »Absolut dokumentenecht.«
    »Richtig«, sagte Helmbrecht. »Die werden bis heute mit Eisengallustinte unterzeichnet. Obwohl man genau weiß, dass sie auf die Dauer das Papier zerfrisst. Oder gerade deswegen — die bekommen Sie nie wieder weg.«
    Helmbrecht hob den Pinsel, dann hielt er zögernd inne. »Merkwürdig. Irgendwie bin ich ein wenig zitterig heute.«
    Amadeo lächelte unauffällig. Sicher nicht nur heute, dachte er, doch er verstand den Wink. »Eigentlich ist das ja nun meine Entdeckung«, bemerkte er.
    Helmbrecht sah ihn an. »Natürlich! Machen Sie nur, mein lieber Amadeo. Schwingen Sie den Pinsel.«
    Der Restaurator benetzte die Spitze des Werkzeugs mit

Weitere Kostenlose Bücher