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Die letzte Offenbarung

Die letzte Offenbarung

Titel: Die letzte Offenbarung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephan M. Rother
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stammt nicht von Johannes! Das ist viel später. Warten Sie mal.« Er humpelte um die Arbeitsfläche herum, zog den Hortulus zu sich heran und schlug ihn an einer willkürlichen Stelle auf. »Ha!« Dann hob er den Codex ein Stück an, so dass Amadeo die Seite erkennen konnte. »Da haben wir den Verfasser dieses Satzes!«
    »Dann stammt der Papyrus also aus fränkischer Zeit?« Der Boden schwankte unter Amadeo. »Er ist gar nicht von Johannes?«
    »Mann, sind Sie anstrengend!«, stöhnte Helmbrecht. »Das müssen die Gene apulischer Hirten sein bei Ihnen.«
    »Hirten aus der Mark Spoleto!«, verbesserte ihn Amadeo würdevoll. »Doch Johannes?«
    »Das Griechische von Johannes, der lateinische Satz von Walahfrid Strabo oder wer auch immer die Papyri zerschnippelt hat«, erklärte der Professor. »In elf Teile. Das zwölfte verdanken wir Ihnen«, fügte er giftig hinzu.
    »Also bezieht sich der Satz nicht unbedingt auf den Text«, grübelte Amadeo.
    »Es kann irgendein Satz sein«, sagte der Professor. »Hoffentlich ein Hinweis, wo wir die Fortsetzung finden.«
    » Venit ecce mors...« , überlegte Amadeo. »Ich kenne das! Venit ecce mors...«
    Auf einmal war es da. Er griff nach dem Zettel und füllte die verbleibenden Lücken aus.
    venit.ecce.mors.quae.pares.faciat
    »Siehe, der Tod wird kommen, der Euch zu Gleichen macht.«
    »Klingt nicht gerade christlich«, murmelte Helmbrecht. »Was ist das? Philosophie? Stoa? Marc Aurel?«
    »Das ist«, Amadeo überlegte kurz. »Seneca«, sagte er schließlich. Er war sich ganz sicher. »De ira . Fast am Schluss.«
    »Seneca.« Helmbrecht kratzte sich den Kopf. »Seneca war ein Zeitgenosse des Johannes. Er war der Erzieher Neros, der ihn schließlich in den Selbstmord zwang. Den ersten in einer langen Reihe idealistischer Pädagogen.«
    Amadeo war sich nicht sicher, ob der Professor einen Scherz machte oder nicht. In seinem Kopf arbeitete es schon, und während Helmbrecht weiter laut vor sich hin grübelte, ging er bereits um die Arbeitsfläche herum.
    »Seneca verbrachte seine letzten Jahre auf dem Lande«, murmelte der Professor. »Hatte er nicht ein kleines Weingut in der Toskana?«
    »Die Toskana gab es damals noch nicht«, sagte Amadeo. Er bückte sich und wuchtete den schweren Karton aus dem Vatikan empor. Er musste nicht lange suchen. Natürlich hatte er die Codices der Reihe nach gesichtet, bevor er sich den Hortulus vorgenommen hatte. So wertvoll die einzelnen Stücke auch waren: Die Offenbarung stellte all das weit in den Schatten.
    »Seneca!«, sagte er grinsend und legte den ziemlich mitgenommenen Codex auf der Arbeitsfläche ab. Das Leder war weit brüchiger als das des Hortulus , und die Handschrift hatte unübersehbar Wasser gezogen, aber der Fall war nicht hoffnungslos.
    »Das wäre ein seltsamer Zufall«, sagte Helmbrecht zweifelnd.
    »Das werden wir gleich sehen«, sagte Amadeo. Er zog eine Schublade auf und entschied sich für ein schmales Lanzettmesser.
    Helmbrecht schrie auf und hob drohend seinen Stock. »Lassen Sie sofort das Messer fallen!«, keuchte er. »Wenn Sie sich an diesem Codex vergreifen, erleben Sie, wie gefährlich ein alter Mann werden kann!«
XIX
    »Derselbe Schreiber.« Helmbrecht blätterte von Seite zu Seite. Für den Augenblick schien er Johannes und sein unglaubliches Geheimnis, das sich vielleicht im Rücken dieses Buches versteckte, vollkommen vergessen zu haben. »Schauen Sie sich diese Illuminationen an, Amadeo! Ich schwöre, dass dieses Buch der Fachwelt unbekannt ist. Diese Malereien! Mit welcher Hingabe, welcher Präzision... Überlegen Sie nur mal: Das haben Hände geschaffen, die seit Jahrhunderten zu Staub zerfallen sind! Jetzt richten Sie Ihr himmelblaues Auge mal hier rüber! Die karolingischen Formen sind zwar noch erkennbar, aber das stammt nicht von Walahfrid; das ist jünger. Hier, das A, eindeutig. Sehen Sie sich diese Malereien an. Zehntes Jahrhundert, spätes zehntes Jahrhundert sogar.« Er kratzte sich am Kinn. »Eines der ganz großen Werke ottonischer Buchmalerei. Und kein Mensch bekommt es zu sehen.«
    »Seit Jahrhunderten versteckt in der Biblioteca Apostolica.« Amadeo betrachtete die aufgeschlagene Seite. Der erste Buchstabe des Kapitels war mit einem verschwenderischen Rankenornament ausgestaltet. Inmitten der Ranken saß ein bärtiger Mann — vermutlich Seneca — und deutete mit wichtiger Miene auf den Text. »Ob sie...« Ein ungeheuerlicher Verdacht keimte in ihm auf. »Was, wenn sie wissen, was sich im

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