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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Jan. »Eher eine Hanfplantage.«
    Gérard verschränkte die Arme über der breiten Brust. Er sah anders aus als sonst. Kein Stumpen hing in seinem Mundwinkel. »Was wollen Sie auf meinem Grund und Boden?«
    »Quatschen«, rief Pit. »Über deinen Einbruch bei Madame Poincaré.«
    Gérard versteinerte. Er hatte den Mund schon zu einer Antwort geöffnet, doch dann trat die Kiefersperre ein.
    Sie waren immer noch ein gutes Stück Weg von ihm entfernt.
    »Sehr subtil«, sagte Jan leise zu Pit.
    »Nein, voll in die Fresse. Nur das verstehen solche Typen.«
    Das Leben fuhr mit einem Schlag in Gérard zurück. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
    Pit wandte sich lächelnd an Jan. »Volltreffer! Er verjagt uns nicht. Und warum: weil er erst herausfinden will, wie viel wir wirklich wissen. Und er ist sich sicher, dass er uns was vorspielen kann. Aber nicht mit Pit!«
    Die letzten Meter bis zu Gérard schwiegen sie. Pit straffte die Schultern und trat vor ihn. Er war einen guten Kopf größer als Gérard und ein handelsübliches Graubrot breiter. Doch der Bauch des Bauern war gewaltig. Da konnte selbst Pits nicht mithalten. Fraglos eine mächtige Waffe. Pit rief sich nochmals ins Gedächtnis, was die Hamburger Studenten des Professors über Gérard Brunot in Erfahrung gebracht hatten. Der alte Mann baute schwarze Johannisbeeren an, Cassis, seine Felder mit den rund einen Meter hohen Sträuchern lagen etwas entfernt von Epoigey. Er verkaufte immer an dieselben Likörproduzenten. Es gab jahrzehntealte Vereinbarungen, nichts Schriftliches, aber Worte waren gegeben und Hände geschüttelt worden. Ein wenig Landwirtschaft betrieb er noch für sich selbst hinter dem Haus, was man so brauchte an Gemüse, mehr nicht. Man erzählte sich, dass er nicht nur einen grünen Daumen, sondern eine grüne Hand hatte, dass bei ihm alles spross und gedieh. Sein Geheimnis gab er jedoch niemals preis. Einige vermuteten, er würde Leichen vom Friedhof stehlen, denn die gaben bekanntlich den besten Dünger. Gérard antwortete auf solchen Blödsinn nicht und aß seine vollreifen Tomaten alleine. Ein Eigenbrötler von echtem Schrot und Korn.
    »Wir haben dich gesehen, Gérard .« Pit zog den Namen lang, sodass er wie eine Drohung klang. »Letzte Nacht, um halb drei. Du hast einen Korb voll Käse geklaut.«
    Gérard starrte ihn wortlos an.
    Jetzt musste Pit nachsetzen, das wusste er. Jan verharrte währenddessen einige Schritte hinter ihm, diese Konfrontation war ihm merklich unangenehm. Pit fing dagegen gerade erst an, Spaß zu haben. Er machte einen weiteren Schritt auf Gérard zu. Nase an Nase.
    »Willst sie an den Meistbietenden verkaufen, was?« Er stupste dem Bauern mit dem Finger auf die Brust. Wenn er Gérard nicht zum Ausflippen brachte, würde dieser Sturkopf nie etwas verraten. »Willst aus dem Tod einer alten Frau Profit ziehen.«
    »Espèce de porc! Clébard! Con!« , spuckte Gérard aus. Pit kannte die Übersetzung: Dreckschwein. Mistköter. Arschloch.
    Na also. Ging doch.
    »Eigentlich wollten wir zur Polizei«, machte Pit fröhlich weiter. »Aber wir dachten, wir besuchen dich vorher mal.«
    Gérard blickte zu Boden.
    »Was wollt ihr? Geld? Hab ich keins. Die Käse sind nur für mich. Ich mag sie halt. Das ist alles. Kein großes Verbrechen, Käse zu klauen, oder?«
    »Mein Freund hier«, Pit deutete auf Jan, »ist von der Gazette de Côte d'Or. Wenn er etwas über deinen nächtlichen Einbruch schreibt, werden sicher einige Schlauköpfe denken, du hättest die gute Madame Poincaré ins Jenseits befördert, um kostenlos an ihre Käse zu kommen. Oder, Jan?«
    »Das wäre möglich.«
    Gérard ließ seine Fingerknöchel knacken. »Niemals hätte ich Madame Poincaré umgebracht.«
    »Wer denn dann?«
    »Weiß ich doch nicht.«
    Pit bemerkte, dass er den maulfaulen Bauern gut leiden konnte. Er mochte Menschen, die wie knorrige alte Bäume waren und sich nicht nach jedem Lüftchen drehten. Dieser Mann hier wurzelte tief im burgundischen Boden, seine Hände erzählten von vielen Jahren harter Arbeit, sein Gesicht von unzähligen Sonnenstunden und seine Augen von vielen Entbehrungen und vom Stolz, es im Leben zu bescheidenem Reichtum gebracht zu haben. Er sah nicht aus wie ein Mörder, doch die sahen selten aus wie in Edgar-Wallace-Filmen. Sondern wie jeder andere. Auch wie Gérard Brunot.
    Der alte Bauer hatte sich die ganze Zeit nicht bewegt, obwohl Pit ihm massiv auf die Pelle gerückt war. Und jetzt erkannte dieser, warum: Gérard schützte

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