Die letzte Reifung
Weinbergschnecken mit Kräuterbutter schon gegen Käse?« Zustimmendes Raunen ertönte. »Gegen Epoisses.« Uh! »Ami du Chambertin« Oh! »Oder Bouton de Culotte, den Hosenknopf?« Das Raunen klang nun fast ekstatisch. Ja, so kitzelte man seine Zuhörerschaft!
Wie gern hätte er Hildegard von Trömmsen nun vor Begeisterung schnalzen gehört.
»Im Folgenden werde ich Ihnen die berühmtesten Käse der Region näherbringen. Selbstverständlich erhalten Sie jedes Mal ein kleines, perfekt temperiertes Stück des vorgestellten Wunderwerks zur Dégustation. Beginnen möchte ich mit dem Délice de Bourgogne, schließlich wurde er bereits im achtzehnten Jahrhundert von dem großen Gastrosophen Jean Anthèlme Brillat-Savarin kreiert. Für seine Erzeugung wird pasteurisierte Kuhmilch mit Crème fraîche angereichert, was ihm seine große Cremigkeit verleiht. Seine Rinde besteht aus weißem Edelschimmel und …«
»Herr Professor!«
»… seine höchste Perfektion erreicht der Käse zwischen Juni und November.«
»Eine Frage bitte, Herr Professor.«
»Der Käse wird Ihnen nun gereicht. Er ist drei Wochen gereift, das ist ideal.«
Die Serviererinnen schwärmten mit silbernen Tabletts aus. Die Käsestücke waren dank der in ihnen steckenden Zahnstocher ohne Kleckerei zu essen. So liebte es die Gesellschaft.
»Herr Professor.«
Wer störte ihn denn da so penetrant? Fragen während eines Vortrages waren unhöflich. Einen Studenten hätte er kurzerhand zusammengestaucht, doch es handelte sich leider um ein Mitglied der Gesellschaft.
»Ja, bitte.«
Es war Davide Aleppo, der junge Käser aus Korsika, den er schon auf der Beerdigung gesehen hatte. Der Professor hatte ihn im letzten Jahr zum Ehrenmitglied der Gesellschaft vorgeschlagen, was dank dessen hervorragender Deutschkenntnisse auf allgemeine Zustimmung gestoßen war. Fraglos ein hochbegabter Käsevirtuose.
»Was hat es mit dem Mord an Monsieur Vesnin auf sich? Sie sollen die Leiche entdeckt haben.«
Plötzlich waren wieder alle Blicke auf ihn gerichtet. Selbst der Schatzmeister sah von seinem Käsestück auf. Natürlich, sie mussten es erfahren haben, viele von ihnen waren des Französischen mächtig und lasen morgens die örtlichen Zeitungen.
»Nun ja, ich habe ein Praktikum bei ihm absolviert und dann … eine sehr unangenehme Geschichte.«
Bietigheim wollte jetzt lieber zum Epoisses übergehen und erläutern, dass er nicht, wie die Legende besagte, von Zisterzienser-Mönchen zu Beginn des sechzehnten Jahrhunderts erfunden wurde, sondern von einfachen Bäuerinnen. Das musste die Gesellschaft unbedingt erfahren! Und dass Napoleon den Käse liebte, die Produktion im Zweiten Weltkrieg jedoch einschlief und erst 1956 von einem Monsieur Berthaut wieder aufgenommen wurde. Beim Epoisses reichten sich Weltgeschichte und Käsegeschichte die Hand.
Doch der junge Korse nutzte das Zögern des Professors und stand auf. »Wir haben alle gelesen, dass Monsieur Vesnin mit einem Melkeimer niedergeschlagen wurde. Aber daran sei er nicht gestorben. Er sei erstickt. Wie erstickt man bitte in einer Käserei?«
Die Augen seines Publikums wurden noch größer.
»Das gehört nicht hierher. Es handelt sich um laufende Ermittlungen, in die auch ich keinen Einblick habe. Ich bin in keiner Weise qualifiziert, mich zu diesem Mordfall zu äußern.«
Der Schatzmeister hob fordernd die Augenbrauen. Es sah aus, als würden zwei Bären auf seiner Stirn kämpfen. »Frau von Trömmsen hat uns persönlich gebeten, Sie danach zu fragen. Wir haben heute Morgen mit ihr telefoniert. Sie möchte auf dem allerneuesten Stand sein.«
Der Professor kam ins Grübeln. Wie beeindruckt würde Hildegard von Trömmsen wohl sein, wenn sie erführe, dass er diesen Fall aufklärte! Da musste er wohl oder übel von seinen Ermittlungen berichten.
»Also gut«, begann er gönnerhaft und vergaß im Folgenden auch nicht zu erwähnen, dass er ebenfalls die Leiche von Madame Poincaré entdeckt hatte und bereits daran sei, den Mörder dingfest zu machen. Er habe eine heiße Spur und die Polizei vor Ort sei leider vollkommen unfähig.
Die Israeliten konnten nicht mehr gestaunt haben, als Moses das Rote Meer teilte.
»Und ich verrate Ihnen noch etwas. Als ich die Leichen fand, waren die Kühe ungewöhnlich glücklich, wie unter Drogen. So etwas habe ich noch nie in meiner langen Beschäftigung mit Milchvieh gesehen. Und dann gleich zwei Mal – jeweils kurz nach einem Mord. Es muss da einen Zusammenhang geben.
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