Die letzte Reifung
Bart schmierten, wenn sie ihre Hausarbeiten nicht rechtzeitig fertig bekamen. Die Mischpoke dachte, damit käme sie durch. Aber nicht bei ihm. Auch beim Kochen musste schließlich alles zum exakt richtigen Zeitpunkt fertig sein.
Doch Honigschmieren konnte heute Abend das Mittel zum Erfolg sein, weshalb er nun ein freigiebiges Bienchen zu sein gedachte.
»Ich forsche bereits jahrzehntelang über die Käsekultur und ihre fabelhaftesten Créateurs«, mit einer ausladenden Handbewegung bedeutete er, dass damit die Anwesenden gemeint waren. »Sie alle in persona anzutreffen ist eine unerwartete Ehre. Es ist, als säße ich bei den Göttern im Käse-Olymp.«
»Was halten Sie denn von den Camemberts?«, fragte Hervé Picard. »Wir freuen uns immer, mit einem Fachmann plaudern zu können.«
Aha, Themenwechsel. Konnte er auch! Und radikaler!
»Sind Sie nicht alle beunruhigt über die Morde in der Käseszene? Sie alle könnten doch die nächsten Opfer sein.«
Eine Bombe aus Stille explodierte. Bietigheim sah die Unruhe in den Augen der Anwesenden, die zitterten wie die Tachonadel eines altersschwachen Wagens. Die Herren verbargen etwas. Er musste nachsetzen. »Sie müssten doch eigentlich ein gesteigertes Interesse daran haben, dass diese Morde aufgeklärt werden und der Täter rasch im Gefängnis landet.«
Hervé Picard räusperte sich. »Aber natürlich. Deswegen geben wir der Polizei auch jede Unterstützung, die sie braucht. Und uns würde alle sehr interessieren, was Sie persönlich herausgefunden haben. Ich habe gelesen, dass Sie versuchen, den Mörder zu stellen. Über den Umweg glücklicher Kühe. Ist das wahr?«
Die Herren lächelten verächtlich.
Der Professor berichtete trotzdem – und achtete genau auf die Reaktionen. Nun beteiligten sich auch die übrigen Anwesenden am Gespräch. Und wie. Alle Details wollten sie erfahren, doch selber nichts preisgeben.
Da ging auf einmal das Licht aus. Sämtliches Licht.
Im ganzen Camembert. Also dem Ort.
Es war stockduster.
Benno von Saber hatte unter dem Tisch ein Nickerchen gemacht, doch nun erwachte er schlagartig und rannte, dem sich entfernenden Gebell nach zu schließen, in Richtung Eingang. Plötzlich war ein Aufschrei zu hören, und Schüsse fielen. Benno klang, als habe er sich in einem fleischigen Knochen verbissen, den er bis zum letzten Fitzelchen abzunagen gedachte, koste es, was es wolle.
Wieder ein Schuss, der zischend an Bietigheims Ohr vorbeisauste und jemanden am Tisch aufstöhnen ließ.
Und mit einem Mal war das Licht wieder an.
Doch am Eingang stand niemand; der Schütze war fort.
Draußen bellte Benno von Saber, doch spurtete er schnell wieder hinein, stolz den hechelnden Kopf erhoben. Er hatte den Eindringling verjagt! Zwei Plätze vom Professor entfernt, presste Égly Ouriet die Hand auf seinen blutüberströmten Arm.
»Pit, rufen Sie einen Arzt!« Er wandte sich an den Verletzten. »Ich lege Ihnen einen Druckverband an. Halten Sie Ihren Arm hoch. Würde mir gnädigerweise jemand Frischhaltefolie reichen oder etwas anderes, das nicht saugt? Und ein Küchentuch. Unbenutzt.«
Mit sicheren Handgriffen verarztete der Professor den Käser aus Savoyen. Doch der alte Mann hatte bereits viel Blut verloren und war nun blasser als Magerquark.
In Bietigheims Kopf schossen die Fragen wie Raketen umher.
Waren der Schütze und der Mörder ein und dieselbe Person? Die beiden bisherigen Morde waren mit berufstypischen Gegenständen verübt worden. Warum dann jetzt eine Pistole? Die wurde zur Käseherstellung selten gebraucht. Eigentlich nie. Und dazu die glücklichen Kühe. Hier gab es keine. Obwohl die Dame vom Museum Glupschaugen hatte, zählte sie wohl kaum. Besonders glücklich sah sie ohnehin nicht aus. Das passte alles nicht ins Muster. Oder war seine Theorie etwa fehlerhaft? Wen wollte der Schütze überhaupt töten? Égly Ouriet? Er konnte im Dunkeln doch gar nicht erkennen, auf wen er zielte. Und den Stromausfall hatte der Schütze ja wohl auch zu verantworten. Hatte er etwa vorgehabt, die komplette Versammlung zu erschießen, und war es nur Benno zu verdanken, dass dieser Plan misslungen war?
Benno, diese Seele von Hund. Nie griff er jemanden an. Es sei denn, er wurde zuerst attackiert. Was in diesem Falle aber nicht …
Doch!
Der Verfolger im Weinberg.
Den Professor erfasste Unruhe. War der Schütze vielleicht seinetwegen hier gewesen, weil der Übergriff im Weinberg gescheitert war? Égly Ouriet hatte nur zwei Plätze weiter gesessen.
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