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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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regieren, das 246 Sorten Käse habe. Der Professor war der Meinung, es sei noch schwerer, ein solches Volk nicht aus vollstem Herzen zu lieben, selbst wenn einige Mörder dazugehörten. Dafür konnten die Käse schließlich nichts.
    Die meisten Anreisenden kamen per Taxi, was auf zweierlei schließen ließ. Erstens: Die Runde hatte vor, heute Abend Alkohol zu sich zu nehmen. Zweitens: Sie mussten in nahe gelegenen Hotels untergebracht sein, denn sonst wären die Taxifahrten zu teuer gewesen.
    Als der Professor den Eindruck hatte, dass die Runde komplett war, näherte er sich mit Pit und Benno von Saber im Schlepptau dem Museum und blickte durch die Fenster. Da es drinnen hell und draußen mittlerweile stockdunkel war, bestand keine Gefahr, erkannt zu werden. Die Herren, denn um solche handelte es sich ausschließlich, nahmen einen kleinen Imbiss zu sich. Leider gehörte auch Mühlbacher Minzkäse dazu, ein italienisches Kuhmilchprodukt, bei dem der halbfeste Schnittkäse mit frischer Gebirgsminze affiniert wurde.
    Einfach widerlich.
    Der Professor konnte den kühlen Geruch selbst durch die Fensterscheiben riechen. Minze gehörte in Zahnpasta, aber nicht an Käse. Es kam ja auch niemand auf die Idee, ein Schweineschnitzel mit Aloe Vera einzureiben. Und überhaupt, was machte ein italienischer Käse bei diesem urfranzösischen Treffen?
    Merkwürdigerweise blieb ein Stuhl leer, doch das Treffen nahm trotzdem seinen Lauf. Wer mochte noch fehlen? Der Professor drehte sich um. Kein Wagengeräusch näherte sich, es war nichts zu hören. Leider auch von drinnen nicht, er konnte keinen einzigen Gesprächsfetzen aufschnappen.
    Also musste er hinein.
    »Kommen Sie, Pit. Lassen Sie uns unsere Aufwartung machen. Schließlich sind wir gerade in der Nähe.«
    »Zufälle gibt's …«
    Der Professor nahm Benno von Saber an die Leine und trat ein. Die Runde saß gleich zur Linken im Eingangsbereich. Gerade wurden verschiedene Camemberts gereicht, die sich in Alter und Herstellung unterschieden. Dazu wurde Calvados serviert, das flüssige Gold der Normandie. Und nach allgemeiner Meinung das Beste, was einem Apfel zustoßen konnte.
    »Na so was«, sagte Bietigheim, bevor ihm einer der Männer seine Aufmerksamkeit schenken konnte. »Hervé Picard. Was für eine Freude, Sie hier zu treffen.« Er ging zu ihm und schüttelte seine Hand, obwohl der Affineur diese gar nicht ausgestreckt hatte. »Wir dürfen uns sicher zu Ihnen setzen. Die Käse sehen ja köstlich aus.« Er blickte in die Runde und verneigte sich. »Professor Dr. Dr. Adalbert Bietigheim ist mein verehrter Name, Professor für Kulinaristik an der Universität Hamburg – und ein großer Bewunderer Ihrer Kunst. Dies ist mein Assistent Pit … er Kossitzke.« Piter klang einfach besser als Pit. Professioneller. Erstaunlich was eine Silbe für einen Unterschied machte. »Ein Mann der Tat«, ergänzte der Professor, falls jemand auf dumme Gedanken kommen sollte. Und bevor sich jemand von der Überraschung erholen konnte, schoss er auch schon die erste und entscheidende Frage heraus: »Was führt so viele Berühmtheiten wie Sie hier zusammen? Mir ist völlig entgangen, dass Sie sich kennen. Ich wusste bisher nur, dass Ihre Käse sämtlich in den besten Restaurants des Landes zu finden sind.«
    Es war Hervé Picard, der antwortete, während die Bedienung dem Professor und Pit lächelnd Teller mit Camembert-Stücken reichte.
    »Wir informieren uns gerne über andere Produkte. Dies ist sozusagen eine Weiterbildungsveranstaltung.«
    »Das ist ja hochinteressant.«
    »Wir treffen uns und besuchen andere Käser, ganz harmlos.«
    »Warum betonen Sie es dann?«
    »Tue ich doch gar nicht.«
    Dies war kein Kaffee- oder Käsekränzchen, dieses Treffen war mehr. Die Anreise war teuer, die verlorene Arbeitszeit kostbar und das Interesse an den Produkten anderer in Frankreich wenig ausgeprägt. Der Blick endete traditionellerweise am Ende der heimischen Scholle.
    »Machen Sie so etwas denn öfter?«, legte der Professor nach. »Regelmäßig?«
    »Nein, nur ab und zu, was ist schon dabei?«
    Aha, eine Lüge. Und nicht einmal mit der Wimper gezuckt.
    »Und warum ist dieser Stuhl leer? Ist jemand nicht gekommen?« Der Professor fand Gefallen daran, Picard mit Fragen zu bewerfen, als handelte es sich um faule Tomaten.
    »Das Museum hat sich vertan.«
    »Es ist sogar für eine weitere Person eingedeckt.«
    »Umso ärgerlicher.«
    Der Professor erinnerte sich daran, wie die Studenten ihm Honig um den

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