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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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bliebe noch Gérard Brunot. Ein alter Bauer aus dem Ort, der nach Madeleine Poincarés Tod Käse aus deren Reifekeller stahl und eine lebensgroße Skulptur von ihr aus Streichhölzern gebaut hat.«
    »Ein Irrer, fraglos. Verbindung zu Monsieur Vesnin?«
    »Keine.«
    »Vielleicht hasst er einfach alle Käser. Haben Sie ihn schon einmal beim genussvollen Käseverzehr gesehen?«
    »Nein, aber er ist zweimal beobachtet worden, wie er Käse auf einen Sarg und ein Grab legte.«
    »Also, mein lieber Professor, was brauchen Sie mehr an Beweisen für einen Menschen, der jedweden Bezug zur Wirklichkeit verloren hat? Er ist sicherlich Ihr Hauptverdächtiger, oder?«
    »Nun ja, so weit würde ich nicht gehen. Ich bin noch in der Recherchephase, und als Wissenschaftler habe ich gelernt, keine vorschnellen Schlüsse zu ziehen.«
    »Wollen Sie damit etwa andeuten, dass ich …?«
    »Um Gottes willen nein! Niemals würde ich das! Ich bewundere Ihr Temperament sehr.«
    »Jetzt kommen Sie mir nicht so.«
    »Wie komme ich Ihnen denn?«
    »So professoral. Das steht Ihnen gar nicht. Die Universität verdirbt ohnehin den Charakter.«
    »Also, Frau von Trömmsen.«
    »Doch, doch. Das tut sie. Da fällt mir eine kleine Anekdote ein. In der Germanistikvorlesung fällt der Begriff 'a priori'. Der Professor bemerkt in der ersten Sitzreihe eine Studentin, die an dieser Stelle die Stirn runzelt. Professor: "Na, junge Kommilitonin, Sie wissen wohl nicht, was das heißt?" Studentin: "Nein." Professor: "Das heißt: Von vornherein." Studentin: "Aha, jetzt weiß ich auch, was apropos heißt!"«
    Wieder dieses Lachen. Mata Hari wäre vor Scham rot geworden.
    Der Professor wusste nicht, was er sagen sollte. Wann kam denn die Pointe?
    »Sie lachen ja gar nicht, Professor.«
    »Doch, doch. Sehr amüsant. Ich schmunzele.«
    »Sind Sie rot geworden? Ich schätze es immer sehr, wenn Sie erröten.«
    »Ich erröte.«
    »Sehr gut. Sie melden sich bitte, wenn es neue Entwicklungen gibt. Ich wünsche jeden Tag einen Rapport. Ist das genehm?«
    »Alles, was Sie sagen, ist mir genehm.«
    »Sie alter Schmeichler. Gehaben Sie sich wohl.«
    Meine Gedanken sind bei Ihnen, wollte der Professor sagen. Doch das hätte sich nicht geziemt. Sie hatten eine altmodische Beziehung. Er war der Galan, sie die unerreichbare Liebe.
    »Ich wünsche Ihnen noch einen wunderbaren Tag, Frau von Trömmsen.«
    Der Professor legte auf.
    Erst jetzt bemerkte er, dass er nicht mehr Benno kraulte, der mittlerweile mit dem Baguette zwischen den Pfoten unter dem Tisch lag, sondern den Stuhl. Die Frau machte ihn wahnsinnig.
    Diese Winterhuder Tigerin.
    Auch Jan hatte in diesem Moment mit einer Frau zu tun, die ihn wahnsinnig machte. Denn er war nicht in der Redaktion der Gazette de Côte d'Or, sondern in der Domaine Henri Coche-Leflaive, um mit Béatrice Leroy zu reden und sie nicht wie beim letzten Mal aus einem Versteck zu beobachten.
    Allerdings war das irgendwie schiefgelaufen.
    Schiefgelaufen war gar kein Ausdruck.
    Dagegen stand der schiefe Turm von Pisa völlig im Lot.
    Was vielleicht daran lag, dass Jan diesmal, ohne anzuklopfen oder an der Klingelschnur zu ziehen, einfach ins Weingut gestiefelt war, direkt hoch in das herrschaftliche Verkostungszimmer, wo das Holz der Bodendielen dunkler war als der Inhalt der Rotweinflaschen. Doch das allein hätte ihn noch nicht in diese verzwickte Lage gebracht. Auch sein Interesse für alte Möbel spielte eine Rolle. Für den alten Eichenkleiderschrank im Besonderen, bei dem vorne eine Spiegelscheibe fehlte und den Béatrice Leroy als Garderobe benutzte. Er tippte auf Jahrhundertwende. Vielleicht klebte hinten ein Schild drauf? Ja, tatsächlich! Fabricant de meubles massif, J. Poirier, Rennes 7, Rue Toullier Rennes.
    Den Ausschlag für seine jetzige Situation gaben allerdings die plötzlich von der steinernen Wendeltreppe zu hörenden Schritte.
    »Ich hoffe, wir sind ungestört?« Eine männliche Stimme.
    »Völlig. Ich habe extra ein Schild an die Eingangstür gehängt.« Das war Béatrice!
    Ach ja, dieses kleine Schild. Das hatte Jan geflissentlich übersehen, denn es schien nicht für ihn geschrieben worden zu sein, sondern für irgendwelche Weintouristen.
    »Gut, denn ich möchte hier wirklich nicht gesehen werden.«
    Da kamen also Béatrice sowie ein Mann hoch, der nicht gesehen werden wollte. Jan würde ihn aber sehen, was dem Burschen sicher nicht gefiel. Und Béatrice demzufolge auch nicht, was wieder einen schlechten Start bedeutet

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