Die letzte Reifung
Dank wusste Davide Aleppo durch Bietigheims Vortrag, dass die glücklichen Kühe ein Warnsignal dafür waren, dass auch ihm jemand nach dem Leben trachtete. Der Käsemörder beschränkte sich offensichtlich nicht mehr nur auf das Burgund, weshalb nun wohl alle renommierten Käser Frankreichs um ihr Leben fürchten mussten. In einem Land, das mehr Käse als Tage im Jahr hatte, war die Zahl der potentiellen Opfer dadurch nahezu unüberschaubar.
Der Professor benötigte Vitamin C reiches Obst zur Beruhigung sowie einen Spaziergang mit Benno von Saber inklusive ausgiebiger Sauerstoffzufuhr, um seinen Denkapparat in die Lage zu versetzen, alles noch einmal in Ruhe durchzugehen.
Das war der Moment, in dem die schwarze Limousine vorfuhr.
Die Murisaltiens hatten sie längst bemerkt. Ein Wagen dieser Größe, dazu noch gepanzert, verirrte sich selten nach Meursault. Einige Ureinwohner hatten bereits Wetten darauf abgeschlossen, vor wessen Haus er parken würde. Auf Jan Bietigheim hatte keiner Geld gesetzt. Jetzt standen sie auf der Straße und warteten darauf, wer dem Wagen entstieg. Solch ein Gefährt besaßen ja wohl nur Kriminelle. Mafia, 'Ndrangheta, Camorra. Keiner erinnerte sich daran, den Wagen schon einmal gesehen zu haben. Dabei hatten sie: bei Madeleine Poincarés Beerdigung. Doch da war er zwischen all den anderen glänzenden Prachtkarossen nicht aufgefallen.
Aus der Limousine stieg ein Chauffeur und öffnete seinem Fahrgast die Tür. Unfassbar satt öffnete sie sich, ein Geräusch wie eine auf den Boden fallende Sahnetorte. Der Fahrgast erhob sich langsam von seinem Platz. Als er aus dem Wagen stieg, mit seinem schwarzen Anzug, dem weißen Kragen und den Gesichtszügen eines Bibers, wussten alle, um wen es sich handelte. Es war Pierre Roux, der Erzbischof von Clermont, das katholische Oberhaupt des Landes. Heiliger konnte man in Frankreich nicht werden. Und jetzt klingelte genau dieser Gesandte Gottes bei Jan Bietigheim, einem Mann, der die schöne, kleine Kirche Meursaults noch nie von innen gesehen hatte.
Die Tür wurde jedoch von Professor Dr. Dr. Adalbert Bietigheim geöffnet, der sich gerade die Mundecken mit einem gestärkten Taschentuch abtupfte.
»Wir spenden nichts. Danke und auf Wiedersehen.«
Da erkannte der Professor sein Gegenüber. Es kam ihm vor, als führe ein Blitz durch seinen Körper, während er mit nackten Füßen auf einer Starkstromleitung stand.
»Oh.«
»Herr Professor Bietigheim, nehme ich an? Ich bin Erzbischof Pierre Roux. Das Codewort lautet: Schnäuzelchen.« Er sagte Schnäuzelchen nicht auf Französisch. Er sagte es auf Deutsch.
»Schnäuzelchen? Haben Sie gerade Schnäuzelchen gesagt?«
Schnäuzelchen nannte Hildegard von Trömmsen ihn, wenn sie leicht beschwipst und bester Laune war. Das verrückte Ding.
Der Erzbischof lächelte zufrieden. »Wunderbar. Ich war mir sicher, dass Sie Ihren Teil des Codes wissen würden.«
Seinen Teil des Codes? Was hatte Hildegard von Trömmsen da wieder angestellt? Dieses raffinierte Frauenzimmer liebte es, Strippen zu ziehen. Sie hatte nicht nur Verbindungen zu den obersten 10000 Deutschlands, nein, sie nannte die obersten 100 beim Vornamen. Und scheinbar wollte sie das Rätsel um die Käsemorde schnell gelöst sehen – und ihren geschätzten Professor ganz nebenbei etwas auf den Arm nehmen.
Der Erzbischof schob sich zur Tür herein.
»Man ließ mich wissen, dass der BND in Form Ihrer Person ermittelt, was Madame Poincarés Mord betrifft. Mir wurde weiterhin mitgeteilt, dass man für jede Hilfe, die ich zur Aufklärung leisten kann, dankbar sei.« Er trat näher. »Unter uns: Wenn der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz eine solche Bitte an einen richtet, kommt man dieser gerne nach. Die deutschen Kollegen haben zurzeit weitreichenden Einfluss in Rom. Wo wollen wir uns setzen?«
Der Professor brauchte nicht lange zu überlegen, die Küche war der einzige Raum, in dem man ohne Sturzgefahr einen Sitzplatz ergattern konnte. Der Erzbischof blickte entsetzt, als er das Chaos sah, und wischte seinen Platz mit einem seidenen Taschentuch ab. »Lassen Sie uns gleich beginnen, meine Zeit ist leider knapp bemessen. Die Wahrheit über Madeleine Poincaré – und wäre sie nicht ermordet worden, kein Wort darüber hätte jemals meine Lippen passiert. Sie wollte dies so. Bloß kein Aufhebens machen. Eine bescheidene Seele, Gott habe sie selig.« Er bekreuzigte sich. »Ich bitte Sie deshalb, all dies unter dem Siegel der Verschwiegenheit
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