Die letzte Reifung
er lebte die letzten Jahre seines Lebens in einem Benediktinerkloster nahe Perpignan. Kurz vor seinem Tod machte er sich auf eine Reise in die Heimat, er wollte Frieden mit seiner Mutter schließen, doch er starb unglücklicherweise zuvor. Das genaue Wie und Wo ist mir leider unbekannt. Wissen Sie, man sollte niemals zu lange warten, um mit sich ins Reine zu kommen.« Er nahm einen langen Schluck Kaffee. »Wie auch immer, erst im Nachhinein erfuhren wir von seinem Tod, durch einen anderen Obdachlosen, und informierten Madeleine Poincaré darüber. Sie war verständlicherweise erschüttert, vom Dahinscheiden ihres Sohnes zu erfahren, doch auch äußerst dankbar, dass sich die Kirche seiner angenommen hatte. Und deshalb spendete sie seitdem alles, was sie hatte. Darf ich fragen, ob Ihre Spur den Mord an Madeleine Poincaré betreffend mit der Zeit ihres Sohnes in der Fremdenlegion zu tun hat?«
»Dazu darf ich leider nichts sagen.« Der Professor verschloss gestenreich seine Lippen. So langsam fand er Gefallen an seinem Agentenstatus. »Was gibt es noch zu berichten?«
»Das ist alles.«
Etwas passte bei dieser Geschichte nicht ganz zusammen. Und der Professor wusste auch, was. »Warum hat sie der Kirche nach ihrem Tod nicht alles vererbt, wenn sie doch so dankbar war?«
»Das müssten Sie Madame Poincaré fragen, was nun leider nicht mehr möglich ist. Doch ich vermute, sie wollte ihren Lieblingsneffen Benoit nicht enttäuschen. An ihm hing sie mehr, als er wusste.«
»Sie war anscheinend eine Frau, die ihre Gefühle gut verbergen konnte. Noch einen "Geistreichen Clermont" auf den Weg?«
»Einen was ?«
Ups. »Einen Kaffee mit Cognac.«
Der Erzbischof kniff sein Gesicht zusammen wie einen Boxhandschuh. «Danke, nein. Ich muss wirklich fort. Die Seelsorge kennt keine Ruhezeiten.«
»Ich bringe Sie noch zur Tür.« Dort angekommen, beugte Bietigheim sich verschwörerisch zum Erzbischof und senkte die Stimme. »Ich möchte Sie bitten, mit niemandem, wirklich nie-man-dem über dieses Treffen zu sprechen, sonst würden Sie meine Scheinidentität als Professor gefährden.«
»Selbstverständlich. Ich werde Sie auch in meine Gebete einschließen.«
»Ich bitte darum.«
In diesem Moment fuhr ein Einsatzwagen der Polizei vorbei. Auf der Rückbank konnte der Professor einen Obdachlosen erkennen.
Sein rechtes Ohr fehlte.
Jan war sich absolut sicher, in seinem Leben noch nie so beleidigt worden zu sein. Zwischen Béatrice' wunderbar geschwungenen Lippen waren Wörter hervorgekommen, die er noch nie gehört hatte. Gut, dass im Französischen jeder noch so üble Fluch charmant klang. Zumindest, wenn ihn jemand wie Béatrice sagte. Genauer: schrie.
Das war jetzt über zwei Stunden her.
Die Wolken am Himmel über ihm bewegten sich kaum, dabei sah er schon eine geraume Zeit zu ihnen hinauf. Als hätte sie jemand mit Heftzwecken angepinnt. Jan lag, die Arme hinter dem Kopf verschränkt, im Weinberg Aux Boussellots. Die saftig grünen Weinblätter wogten wie Paillettenkleider, dies war ihr Ballsaal. Doch es waren Jans Gedanken, die Pirouetten drehten.
Béatrice hatte nicht nur Kübel voll Jauche über ihm, sondern über dem gesamten Berufsstand der Presse ausgeschüttet. Journalisten seien nichts anderes als Parasiten, die sich von den Leben anderer ernährten. Sie würden nichts aus sich selbst heraus erschaffen. Das sah Jan zwar anders, denn das Schreiben eines Artikels, und sei er noch so klein und unbedeutend, war ein schöpferischer Akt. Trotzdem hatte sie irgendwie recht. Jan verspürte schon länger den Wunsch, mit seinen Händen zu arbeiten, körperlich, schwitzend, sich verausgabend. So wie Béatrice im Weinberg.
Okay, mit Béatrice im Weinberg.
Der Dorfpfarrer hatte sich während ihrer Schimpfkanonade ruck, zuck verzogen, mit so vielen Weinflaschen wie irgend möglich. Selbst für einen gebürtigen Burgunder schien er viel zu trinken. Und das wollte etwas heißen. Die Promillegrenze lag hier inoffiziell bei 1,5 – darunter spürten die Ureinwohner nur ein leichtes Kribbeln an der Nasenspitze.
Als Béatrice mitbekam, dass der Priester nicht länger im Raum weilte, hatte sie begonnen, auf Jan einzuschlagen. Er konnte ihre trommelnden Fäuste noch jetzt auf der Brust spüren.
Jan hatte sie machen lassen, bis Béatrice von alleine aufhörte. Dann erst hatte er ihre Hände genommen und wieder gesprochen.
»Hier kommt ein Geständnis: Ich mag auch keinen Rotwein. Und Frauen, die beim Spielen gewinnen, sind mir
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