Die letzte Reifung
Leitung.
»Adalbert, bist du noch da? Hat der etwa aufgelegt?«
Ein schwerer Atmer. »Nein, der hat nicht aufgelegt. Hast du mir gerade wirklich berichtet, dass deine Béatrice aus traurigen Kühen zufriedene machen kann?«
»Genau das. Sie ist gerade wieder dabei. Das Alter der Kuh spielt dabei übrigens keine Rolle.« Er lachte.
Adalbert lachte nicht.
»Und ist dir weiterhin klar, dass die Mordserie in Zusammenhang mit dem Phänomen glücklicher Kühe steht? Ich möchte dich etwas fragen, ganz unverblümt: Ist es nicht höchstwahrscheinlich, dass eine Frau, die traurige Kühe in zufriedene verwandeln kann, dieses Kunststück ebenfalls bei zufriedenen Kühen beherrscht, die sie in überaus glückliche verwandeln kann?«
Jan schaltete das Handy aus.
Dieses Gespräch hatte nie stattgefunden! Er würde sich nicht von Adalbert verrückt machen lassen. Béatrice war keine Mörderin, das wusste, das spürte er. Jan kehrte zu ihr zurück und machte weiter, wo er aufgehört hatte.
Pit war es egal, dass die Krankenschwester neben ihm stand und den Tropf kontrollierte, er nahm trotzdem Gérards Hand. Und bis die Polizei kam und herausfand, dass er nicht, wie behauptet, der Enkel des alten Burschen war, würde er sie festhalten. Vermutlich kämen die Ordnungshüter schon bald, sie wurden bei Selbstmordversuchen anscheinend umgehend informiert.
Gérards Puls hatte sich auf schwachem Niveau stabilisiert, eine Sauerstoffmaske saß auf seinem Gesicht, das nun viele Jahre älter wirkte. Der Arzt hatte Pit eben gefragt, warum Gérard die Tabletten genommen hatte. Ob er als Enkel nichts geahnt hätte?
Nein, hatte er nicht.
Gérard war zwar kein Mensch, der ausgesprochen glücklich wirkte, eher im Gegenteil, aber es schien eine natürliche Mürrischkeit zu sein, die einfach zu ihm gehörte. So wie Kiwis eine kratzige Haut hatten. Welchen Grund konnte er also für den Selbstmordversuch haben? War er der Täter und wurde von Schuld erdrückt? Das konnte und wollte Pit nicht glauben. Er würde ihn fragen müssen, und vielleicht würde der alte Grummler ihm sogar eine Antwort geben. Ob Gérard überhaupt wieder aufwachen würde, hatte Pit den Arzt gefragt. Ganz sicher könne man sich natürlich nie sein, aber wahrscheinlich sei es schon, hatte dieser geantwortet.
Vielleicht würde Gérard aufwachen, weil er eine vertraute Stimme hörte, die Wärme einer Hand spürte, einen Geruch aus der Kindheit wahrnahm, weil irgendetwas in sein Unterbewusstsein drang und ihn aus der Dunkelheit holte. Was war ihm wichtig, woran hing sein Herz? Die Johannisbeersträucher waren nur seine Arbeit, und seine Leidenschaft, die Streichholzskulpturen, rochen nicht besonders, nur eben nach Streichhölzern. Einen Versuch war es trotzdem wert. Pit hatte immer eine Packung in der Lederjacke. Als die Krankenschwester das Zimmer verließ, löste er die Sauerstoffmaske, schob die Schachtel auf und hielt sie Gérard unter die Nase. Der Geruchssinn war schließlich der ursprünglichste aller menschlichen Sinne. Das hatte der Professor ihm einmal erzählt. Kein Sinn wirkte unmittelbarer auf das Gehirn. Geruchsempfindungen prägten sich sehr stark ein und spielten im Unterbewusstsein eine herausragende Rolle, weshalb man im Zusammenhang mit dem Geruchssinn auch vom »Fenster zum Gehirn« sprach.
Doch dieses blieb verschlossen.
Er musste etwas finden, das stärker duftete! Und Pit brauchte nicht lange, um zu wissen, was. Hätte jemand mit einer Stoppuhr neben ihm gestanden, wäre er auf 0,63 Sekunden gekommen.
Käse.
Vacherin d'Epoigey.
So einen, wie er ihn irgendwo in der Jackentasche haben musste. Der Professor hatte ihm vor dem Abflug nach Korsika ein Stück mit auf den Weg gegeben, als Stärkung für die Reise. Als Pit das Pergamentpapier auseinanderfaltete, tränten ihm die Augen, so intensiv stachen ihm die Aromen des Käses in die Nase. Er roch wie ein alter Wallach nach einem zweitägigen Gewaltritt. Dieser Käse hätte einen Toten aufwecken können.
Wieder nahm er Gérard die Sauerstoffmaske ab und hielt das Käsestück, das sich nicht zwischen den beiden Aggregatzuständen flüssig und fest entscheiden konnte, direkt unter die Nasenlöcher.
Gérard zuckte zusammen, seine Nüstern weiteten sich, sein Atem wurde tiefer.
Dann kam die Krankenschwester herein, Modell Panzerkreuzer.
»Was machen Sie denn da, um Himmels willen! Setzen Sie die Maske sofort wieder auf.«
Da Pit keine Anstalten machte, erledigte sie es selbst, griff sich auch gleich
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