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Die letzte Reifung

Die letzte Reifung

Titel: Die letzte Reifung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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den Käse und warf ihn angewidert in den Mülleimer.
    »Das war sein Lieblingskäse«, sagte Pit.
    »Noch einmal so etwas und Sie fliegen aus dem Krankenhaus! Enkel hin oder her. Wie können Sie Ihren Großvater nur so in Gefahr bringen?«
    »Es war sein Lieblingskäse ! Kein Rattengift, Schätzchen!«
    Sie würdigte diese Aussage keines Blickes, hob stattdessen ruppig Gérards Kopf hoch, um sein Kopfkissen aufzuschütteln. Pit sah, wie ihr gewaltiger Busen dabei dessen Wange berührte.
    Und sich Gérards Augen mit einem Flackern öffneten.
    Ha!
    Der alte Schwerenöter.
    Pit schloss ihn immer mehr ins Herz.
    Die Krankenschwester bemerkte Gérards Erwachen nicht einmal, sondern stürmte wutentbrannt aus dem Zimmer. »Ich werde den Arzt über Ihr Verhalten informieren.«
    »Tun Sie das, schönen Gruß auch von mir.«
    Endlich war sie weg. Pit beugte sich sogleich über Gérard, der ihn fragend ansah.
    »Ich bin's, Pit. Dein Schatten. Warum wolltest du dich umbringen?«
    »Hast du mich …«, er brach ab und schnappte nach Sauerstoff, seine Stimme war kaum mehr als ein Zittern in der Luft, »… hierhergebracht?«
    »Ja. Was sollte das?«
    »Hättest mich …«, wieder dieses Luftholen, als verende er wie ein Fisch an Land, »… sterben lassen sollen.«
    »Wie kann man nur so blöd sein und sich umbringen? Das Leben ist so wertvoll!« Pit reichte ihm einen Becher mit Wasser und half beim Trinken. »Dir geht's doch gut, Mann! Warum also? Sag's mir, ich begreif's nämlich nicht.«
    Gérard sah ihn an, nicht wie sonst mit dem genervten Blick des Observierten, sondern so, als bestehe ein Band zwischen ihnen. Vielleicht war es auch nur ein Moment der Erschöpfung, der Gérard all seine Sicherheitswälle abbauen ließ und ihn nun dazu brachte, sich alles von der Seele zu reden. Seine Stimme schien dadurch einen kleinen Teil ihrer alten Stärke zurückzugewinnen.
    »Warum ich es getan habe, willst du dummer Junge wissen? Weil ich sie geliebt habe, die Madeleine. Und nicht erst seit gestern. Schon immer, seit wir kleine Kinder waren. Bei der Weinlese hab ich sie zum ersten Mal gesehen, da haben wir uns etwas dazuverdient. Und Madeleine, die hat mich auch gleich gemocht. Aber ihre Familie wollte es nicht, sie hatte schon einen Mann für sie ausgeguckt, den schönen Nicolas, das Arschloch.« Er hustete, und es klang, als würde er gleich Lungenstücke spucken. Pit tat schon das Zuhören weh. »Ich habe trotzdem nicht aufgehört, Madeleine zu lieben. Das Herz ist halt ein dummer Muskel. Nicolas ist dann im Krieg gefallen, ihr Deutschen habt ihn erwischt. Die Schlacht an der Aisne – sagt dir natürlich nichts. Kurze Zeit später seid ihr dann über die Seine. Der Nicolas war ein Hitzkopf, wahrscheinlich hat er sich vor lauter blindem Eifer in die Schusslinie geworfen. Aber mit einem Mal war er unser Kriegsheld, keiner durfte etwas Schlechtes sagen und Madeleine sich keinen neuen Mann nehmen. Sie war ja eine schwangere Heldenwitwe. Gib mir noch was Wasser, schnell.«
    Pit ließ sich nicht lange bitten, sonst versiegte Gérards Redefluss vielleicht.
    »Nicolas wollte Madeleine gar nicht heiraten, die hatten sie ihm aufs Auge gedrückt. Nicolas war … eingefleischter Junggeselle, wenn du verstehst. Der stand auf Männer, so war's. Hat's sogar bei mir versucht, aber dafür bin ich nicht zu haben. Ist ja auch egal. Madeleine war nach seinem Tod tabu, da war gar nicht dran zu denken. Obwohl wir beide … na ja, es ging halt nicht. Punkt. Dann, vor ein paar Jahren, vier waren es, als ich schon dachte, dass mein Leben im Großen und Ganzen vorbei sei, da passierte es. Madeleine küsste mich. Als ich Käse bei ihr kaufte, das habe ich nämlich all die Jahre gemacht, jeden Mittwochmorgen. Im Nachhinein hab ich erfahren, dass der Kuss mit der guten Nachricht über ihren Sohn zusammenhing. Da glaubte sie wieder, dass sich das Schicksal wenden, dass alles doch noch irgendwie, und wenn auch nur ein kleines bisschen, gut werden kann. Wir mussten es natürlich geheim halten, sonst hätte es Gerede im Dorf gegeben.« Gérard holte tief Luft und blickte an die Decke, seine Augen verloren an Glanz. »Und dann wird sie ermordet. Ich hab versucht weiterzumachen, mich um das Grab von ihrem Philippe zu kümmern. Aber als ich die Skulptur von ihr fertig hatte, da wollte ich nicht mehr. Aber das verstehst du nicht. Du hättest mich nicht retten sollen, Deutscher. Ich will wieder zu meiner Madeleine. Hier hält mich nichts mehr.«
    »Ich lass Sie aber

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