Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor
grollte über die Landschaft; noch lag er in der Ferne, kam aber stetig näher. Aus dem Norden wogten schwarze Wolken heran und verhüllten den Himmel, grüne Lichtblitze erhellten sie von innen heraus.
Beltan schob sich das nasse, helle Haar aus der Stirn und schaute nach oben. »Ist es nicht etwas spät im Jahr für Gewitter?«
»Ja«, erwiderte Melia mißtrauisch. »Das ist es.«
Ihre Worte riefen bei Travis eine Gänsehaut hervor.
Wie um die Bemerkung des Ritters zu unterstreichen, zerriß ein Blitz die Wolken über ihren Köpfen, und die ersten fetten, kalten Regentropfen fielen auf das Kopfsteinpflaster des Königinnenpfads.
»Wir sollten besser einen Unterschlupf finden«, sagte Falken. »Und zwar bald.«
Der Barde hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als Beltan auch schon seinem Schlachtroß die Sporen gegeben hatte und im Zwielicht verschwunden war. Die anderen ritten weiter. Ein eiskalter Wind blies aus dem Norden, riß an ihren Umhängen und trieb den Regen in horizontalen Strömen über das Land. In wenigen Augenblicken war Travis bis auf die Haut durchnäßt. Egal wie dicht der Nebelmantel auch gewoben sein mochte, er nutzte ihm wenig, wenn er ihn nicht um sich geschlungen halten konnte.
Ein weiterer Blitz enthüllte Beltans auf sie zugaloppierende Silhouette. Der Ritter brachte sein Pferd rutschend zum Halten und überbrüllte das Toben des Sturms. »Nicht weit voraus ist ein Haus. Ich glaube, es ist das Herrenhaus eines örtlichen Lords.«
Falken wischte sich das Wasser aus dem Gesicht. »Dann sollten wir die Gastfreundschaft des Lords in Anspruch nehmen.«
Sie hatten das Herrenhaus fast erreicht, bevor Travis es sehen konnte – ein klotziger Umriß, der von einem hinter ihm niedergehenden Blitz erhellt wurde. Sie stiegen ab, und Beltan packte die Zügel ihrer Pferde.
»Da vorn ist ein Stall.« Er zeigte auf ein schwarzes Rechteck. »Ich kümmere mich um die Pferde.« Der Ritter führte die furchterfüllten Tiere in das Halbdunkel und war verschwunden.
Travis, Melia und Falken hielten einander fest und stolperten auf die Eingangstür des Herrenhauses zu. Der Barde hämmerte dagegen.
»Öffnet!« rief er. »Reisende suchen Schutz vor dem Sturm!«
Niemand antwortete. Falken hämmerte erneut dagegen, aber die Tür öffnete sich noch immer nicht. Stand der Ort verlassen da? Wegen des Regens konnte Travis das nur schwer abschätzen, doch das Haus machte einen verfallenen Eindruck. Falken und Melia tauschten grimmige Blicke aus, dann schlug er noch einmal gegen die Tür, und zwar so hart, daß sie in den Angeln erbebte. Seine Stimme erklang voller Autorität.
»Falls dies noch immer ein zivilisiertes Land ist, dann laßt uns ein, bei den Gesetzen der Gastfreundschaft!«
Die Worte mußten eine Wirkung gezeigt haben, denn das Geräusch eines beiseite geschobenen Balkens ertönte, und die Tür schwang nach innen auf. Im gleichen Augenblick kehrte Beltan von dem Stall zurück. Die vier Gefährten traten ein.
Die Tür schloß sich wieder hinter ihnen und sperrte sie in eine enge Diele ein, in der es kaum heller als in dem Zwielicht draußen war. Travis' Augen gewöhnten sich an das trübe Licht, und er sah, wer sie eingelassen hatte. Sie war kaum älter als ein Mädchen und trug ein mausbraunes Kleid. Schmutz befleckte ihr unscheinbares Gesicht, ohne jedoch den Ausdruck von Furcht verbergen zu können. Um die Stirn trug sie ein dreckiges, zusammengedrehtes Kopftuch gebunden, in dessen Mitte etwas Dunkles durch den Stoff sickerte.
»Danke, daß du uns die Tür geöffnet hast«, sagte Falken. »Das ist ein dunkler Tag da draußen.«
Die Dienerin starrte stumm vor sich hin und mied seinen Blick.
Falken unternahm einen zweiten Versuch. »Kannst du uns zu deinem Herrn bringen, so daß wir seine Gastfreundschaft erbitten dürfen?«
Das Mädchen nickte ruckartig. Wortlos führte sie die vier einen Korridor entlang und weiter durch eine Tür. Sie fanden sich in einem zugigen Saal wieder. An den Steinwänden klebte Schimmel, in einem riesigen Kamin knisterte ein klägliches Feuer, das viel Rauch, nur wenig Licht und scheinbar nicht die geringste Wärme abgab. Über ihren Köpfen wölbten sich vom Ruß und der Zeit geschwärzte Balken, die Travis an die Rippen eines gewaltigen Tieres denken ließen, das sie gerade lebendig heruntergeschluckt hatte.
Eine rasselnde Stimme erklang. »Ihr müßt meiner Magd verzeihen, daß sie Euch nicht gleich hereinbat. Kirtha ist dumm, aber ich habe niemanden anders,
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