Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor
»Alle Anzeichen waren da, aber ich habe es erst jetzt begriffen. Ich bat ihn, die Rune des Lichts zu zeichnen. Das hat er auch getan, aber er malte den abzweigenden Ast und den Punkt auf die linke Seite und nicht auf die rechte.«
»Du meinst, er zeichnete sie verkehrt herum?«
Der Barde nickte. »Und die Rune des Lichts verkehrt herum ist Sinfath – die Rune des Zwielichts.«
Melia seufzte und legte die Finger an die Schläfe. »Nun, das erklärt meine Kopfschmerzen. Sinfath und ich haben uns noch nie verstanden.«
»Wie heißt es noch, Gleiches stößt Gleiches ab?«
Die Bemerkung brachte dem Barden einen vernichtenden Blick ein. »Das ist nicht witzig, Falken. Du weißt genau, daß mich jede Runenmagie beeinflußt.«
»Sie hätte beinahe uns alle beeinflußt, auch wenn ich mir nicht sicher bin, wie. Es ist fast so, als hätte er angefangen, die Macht der Rune mit diesem Ort zu verbinden. Nur daß das unmöglich ist.«
Beltan kratzte sich am Hals. »Und wenn man sie miteinander verbunden hätte?«
»Dieser Wegkreis hätte für alle Zeiten im Dunkeln gelegen«, antwortete Falken dem Ritter, »ein Ort voller Nebel und Schatten. Und man hätte ihm nie entkommen können.«
»Ich bin mir nicht sicher, daß ich das wirklich wissen wollte.«
»Du hast gefragt.« Falken schüttelte den Kopf. »Aber die Kunst des Runenbindens ist tot und seit Jahrhunderten verloren. Das hier muß durch etwas anderes ausgelöst worden sein.«
Melia ging langsam im Kreis um Travis herum. »Vielleicht.«
Travis hielt den Kopf aufrecht, obwohl ihm jeder Instinkt zuschrie, sich zu einem Ball zusammenzurollen und den Versuch zu unternehmen, zu verschwinden.
Melia ergriff wieder das Wort, und obwohl ihr Tonfall energisch war, drückte ihre Miene Mitleid aus. »Nun, was auch geschehen ist, es ist kein Schaden entstanden, und dafür können wir dankbar sein. Wir können uns später darüber unterhalten. Das Abendessen ist so gut wie fertig. Ich setze einen Topf aufs Feuer, während wir auf den Eintopf warten. Bestimmt fühlen wir uns nach einem Becher Maddok viel besser.«
Travis warf Melia einen dankbaren Blick zu. Sie nickte und ging als erste zurück zum Lagerfeuer. Der Maddok war heiß und gut, und Travis' Laune hob sich. Doch als die Sonne hinter dem Horizont versank und sich die kühle und purpurne Dämmerung auf den Wegkreis senkte, konnte keiner von ihnen ein Schaudern unterdrücken.
Danach konzentrierten sich Travis' Lektionen in Runenzauberei weniger auf reines Wissen als vielmehr auf Kontrolle. Während der Unterricht seine Abende im Lager ausfüllte, waren die langen Tage auf dem schwankenden Rücken seines Wallachs wesentlich ermüdender. Die Muskeln seiner Beine gewöhnten sich an das Leben im Sattel, aber sein Rücken schmerzte ständig, und die Landschaft half wenig dabei, ihn von den Schmerzen abzulenken. Im Westen erstreckte sich die Ebene in mattbraunen Wellen, im Osten erhoben sich die schroffen Abhänge des Fal Erenn. Manchmal wünschte sich Travis, sie könnten in die Berge reiten oder über die weiten Ebenen preschen, egal was, nur damit sie das dazwischenliegende Land und die alte tarrasische Straße verlassen konnten, die mit einer unerschütterlichen Vorhersehbarkeit, die einen in den Wahnsinn treiben konnte, über Hügel und durch seichte Täler führte.
Er verbrachte die meiste Zeit im Sattel mit dem Versuch, sich warm zu halten. Es war unnötig, die Zügel zu halten – der Wallach folgte problemlos seinen Artgenossen –, also hielt er die Hände unter den Umhang gesteckt. Er brauchte bloß drei Stürze in den Schlamm, bevor er gelernt hatte, sich mit den Knien zu halten. Für gewöhnlich ritt er allein. Beltan trieb sein Pferd immer voraus oder fiel zurück, um nach möglichen Gefahren Ausschau zu halten, und Falken und Melia hielten ihre Pferde stets ein Dutzend Schritte voraus.
Ihre Schweigsamkeit wurmte ihn. Warum erklärte ihm nie jemand, was eigentlich genau los war? Jack hatte in der Nacht im Magician's Attic nichts erklärt. Genausowenig wie Bruder Cy in dem seltsamen Erlösungszelt. Was glaubten sie, daß er tun würde, wenn er die Wahrheit kannte?
Vielleicht haben sie Angst.
Er war sich nicht sicher, wo der Gedanke herkam. Es war nicht die Stimme, die zu ihm gesprochen hatte, die Stimme, die Jacks so sehr ähnelte. Möglicherweise war es nur ein Instinkt, aber er schien richtig zu sein. Melia und Falken fürchteten sich vor etwas. Genau wie Jack. Und der seltsame Mann in Schwarz? Travis
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