Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor

Titel: Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
Vom Netzwerk:
andere hatte auch die Sonne etwas Seltsames an sich. Sie hing etwas zu groß am Himmel und verlieh allem eine helle und zugleich trübe Patina, wie Schellack auf einem Renaissancegemälde. Irgendwann erinnerte sich Travis, wo er ein derartiges Tageslicht zuvor gesehen hatte. Es war vor ein paar Jahren in Castle City gewesen, während einer teilweisen Sonnenfinsternis. Für kurze Zeit hatte der Mond ein kleines Stück aus der Sonnenkugel herausgebissen, und ein trübes, aber dennoch ergiebiges Zwielicht hatte sich über das Tal ergossen, das an angelaufenes Kupfer denken ließ. Das Halblicht hatte alles auf eine seltsame Weise alt aussehen lassen, und genau das gleiche tat es in dieser Welt.
    Wenn sie gelegentlich einen kleinen Hügel erklommen hatten, erhaschte Travis einen Blick auf Berge, die am Horizont wie eine finstere Mauer in die Höhe schossen. Obwohl der Rest des Himmels völlig klar war, brüteten Wolken hinter den scharfkantigen Gipfeln. Sie erfüllten Travis mit einer namenlosen Vorahnung, obwohl er nicht hätte sagen können, warum das so war, und es erleichterte ihn, daß sie sich von den Bergen entfernten, statt auf sie zuzugehen.
    Am späten Nachmittag verlor er Falken.
    Travis kletterte mit einem Grunzen einen steinigen Abhang hinauf. Oben auf dem Kamm beugte er sich vornüber, stützte die Hände auf die Knie und versuchte, wieder zu Atem zu kommen. Sein Magen knurrte protestierend – es schien beklagenswert lange herzusein, daß sie neben Falkens Lagerfeuer den Eintopf gegessen hatten –, und er fragte sich, wie lange es wohl noch dauerte, bevor sie eine Rast einlegten und hoffentlich einen Bissen zu sich nahmen. Er hob den Kopf, um zu sehen, wie weit der Barde voraus war.
    Falken war nirgendwo in Sicht. Travis blickte sich um, aber da war nur leerer Wald. Furcht stieg in ihm auf, und er legte die Hände an den Mund.
    »Falken! Wo bist …?«
    »Schrei hier nicht rum, du Narr!« zischte eine Stimme in sein Ohr. Travis klappte den Mund zu und fuhr vor Erschrecken beinahe aus der Haut. Er wirbelte herum, dann wich die Angst der Erleichterung, als er Falken erblickte. Der Barde runzelte mißbilligend die Stirn. Das Echo von Travis' Ruf erstarb in der Luft, als hätte die unnatürliche Stille es erstickt.
    »Es tut mir leid, Falken.« Travis flüsterte die Worte, nicht willens, die bedrückende Stille des Waldes erneut zu brechen, da sie ihn an eine andere Stille erinnerte, die über dem Farmhaus in Illinois gehangen hatte, in dem er aufgewachsen war.
    Er war dreizehn Jahre alt gewesen. Tag für Tag war sein Vater wie ein Roboter aus einem Weltraumfilm im Spätprogramm durch das Haus gewankt, während seine Mutter so stetig dahingewelkt war wie die Blumen auf der Küchenfensterbank. Die Atmosphäre im Haus war so abweisend gewesen, daß sich Travis kaum getraut hatte, etwas zu sagen, vor allem nicht das eine Wort, das etwas bedeutet hatte. Alice. Als wenn sie jetzt, wo sie nicht mehr da war, wo man sie in ihrem kleinen Sarg in den Boden hinabgesenkt hatte, so hätten tun müssen, als hätte sie niemals existiert.
    »Travis?«
    Er schüttelte den Kopf. Falken schaute ihn noch immer finster an.
    »Ich dachte, ich hätte dich verloren«, sagte Travis.
    »Du hattest mich auch verloren«, erwiderte der Barde. »Obwohl ich dich nicht verloren habe.« Seine Miene hellte sich auf. »Es ist natürlich meine Schuld. Ich hätte dich früher warnen sollen. Also will ich es jetzt tun. An einem Ort wie diesem ist es keine gute Idee, zu rufen oder gar die Stimme zu heben. Dies hier ist kein böses Land, aber es ist auch nicht weit vom Bösen entfernt. Es ist besser, man erregt keine Aufmerksamkeit, wenn man nicht weiß, wer zuhören könnte.«
    Wie um Falkens Warnung zu unterstreichen, flog über ihren Köpfen ein Schatten vorbei und stieß ein heiseres Krächzen aus, das durch den Wald hallte. Die beiden Männer sahen schnell genug auf, um einen Raben zu erkennen, der über den Baumwipfeln vorbeiraste und in der Feme verschwand.
    Falken schüttelte den Kopf. »Es scheint, als käme meine Warnung zu spät. Aber ich glaube, wir können guten Mutes sein, daß es sich einfach nur um einen ganz gewöhnlichen Raben handelte, den dein Ruf aus seinem Nest aufscheuchte. Wenn es etwas anderes war, dann ist es zu spät, um sich darum zu sorgen.«
    Travis fragte sich, was wohl mit dem etwas anderen gemeint war, aber er war auch schon so beunruhigt genug und fragte nicht nach. Doch es war ihm nicht entgangen, daß der Rabe

Weitere Kostenlose Bücher