Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige
selbst geköpft. Das bedeutet, daß sich der andere Verschwörer noch immer im Schloß aufhält. Könnten wir ihn aufspüren, könnten wir ihn verhören, und vielleicht würden wir mehr darüber erfahren, was sie – ich meine, was er wirklich plante. Dann könnte der Rat dieses Wissen benutzen, um eine Entscheidung zu treffen. Das Ergebnis der Abstimmung würde dann eigentlich keine Rolle mehr spielen. Zumindest wüßten wir, daß sie vor ihrer Entscheidung über alle nötigen Informationen verfügten, und daß wir alles getan haben, was in unserer Macht stand.«
Sie stockte, als sie erkannte, daß sie alles gesagt hatte. Er betrachtete sie, und sie kam sich vor wie eine Bühnenschauspielerin, die ihren Text in genau dem Augenblick vergaß, in dem der Scheinwerferkegel auf sie zeigte. Ihr Instinkt befahl ihr, die Flucht zu ergreifen, aber ihre Beine schienen diese Empfindung nicht zu teilen. Er würde sie auslachen oder sie verspotten oder wütend über sie herfallen. Sie war eine Närrin, daß sie ihn in dem Glauben besucht hatte, sie könnte ihn beeinflussen.
Er stellte den Pokal ab und ging entschieden auf sie zu. Sie stählte sich. Es war soweit.
»Ich werde Euch helfen, Mylady.«
Sie blinzelte – sie mußte sich verhört haben. Doch in seinem Gesicht war weder Spott noch Wut zu erkennen. Sein Blick war dunkel und ernst.
»Ihr fragt Euch, warum ich zustimme.« Er zuckte mit den Schultern. »Vielleicht kenne ich den Grund selbst nicht. Oder vielleicht bin ich es müde, meiner Königin dabei zuzusehen, wie sie sich vor dem Rat zur Närrin macht.« Jetzt verzogen sich seine Lippen zu einem spöttischen Lächeln, aber Grace wußte, daß es nicht auf sie gemünzt war. »Mitglieder eines Königshauses werden geboren, nicht auserwählt, und Inzucht ist nicht immer gut für den Intellekt. Ob es den Fahlen König nun gibt oder nicht, in diesem Schloß ist etwas im Gange, der Versuch, den Rat gegen den Krieg zu beeinflussen. Und obwohl auch ich diese Position vertreten habe, frage ich mich, wer sonst noch an diesem Ergebnis interessiert sein könnte, wer so darauf erpicht ist, daß er bereit ist, dafür zu morden. Und warum.« Er holte tief Luft. »Wie kann ich Euch helfen, Mylady?«
Graces Herz machte einen Freudensprung. Sie hätte nie gedacht, daß er ihr tatsächlich helfen würde. Aber warum nicht? Er verfügte über einen logisch denkenden Verstand, und er hatte die Dinge besser durchdacht als sie.
»Ihr müßt achtgeben, Mylord«, erwiderte sie. »Ihr kennt die an dem Rat beteiligten Leute besser als ich. Ihr müßt für mich diejenigen beobachten, die Euch vertraut sind, und darauf achten, ob sich einer von ihnen … anders oder seltsam verhält.« Oder ob sie Narben auf der Brust haben. Aber das sagte sie nicht. Wie hätte sie es erklären sollen?
»Das kann ich machen, Mylady. Und auch ich verfüge über Informationsquellen. Ich werde sehen, was ich über Alerains Mörder in Erfahrung bringen kann.«
Sie blickten sich verstehend an, dann grinste er, und sie konnte nicht anders, als das Grinsen zu erwidern. Vielleicht bestand ja doch noch Hoffnung. An diesem Punkt wollte sie sich bei ihm bedanken, ihm sagen, daß sie bald wieder miteinander sprechen würden, und das Gemach verlassen.
Die dazu nötigen Worte kamen nicht über ihre Lippen, die Tür blieb geschlossen. Statt dessen erbebte die Luft, und sie lag in seinen Armen. Er senkte den Kopf – nicht sehr weit, da sie hochgewachsen war –, und seine Lippen berührten die ihren. Sie schmeckte Wein und noch etwas anderes: Leidenschaft. Gierig trank sie davon, als wäre es ein Lebenselixier.
Seine Lippen wurden fordernder. Ein elektrisierendes Kribbeln durchfuhr sie. Ihre Hände wanderten wie kleine Tiere über seinen Körper. Er trug Hosen und ein weißes Hemd, aber sie konnte das feste Fleisch unter dem Stoff fühlen. Es erregte sie, und er war ebenfalls erregt, das war offensichtlich – zumindest in dieser Hinsicht hatte Kyrene recht gehabt.
Ihre Finger fanden den Weg unter das Hemd. Den Bruchteil einer Sekunde fürchtete sie sich vor dem, was ihre Berührung möglicherweise entdeckte …
Es könnte jeder sein …
… aber seine Brust war hart, glatt und unversehrt.
Seine Hand fand die Schnüre ihres Ausschnitts, und sie schienen sich wie von selbst zu öffnen. Seine Finger glitten hinein, warm und zärtlich. Ihr entschlüpfte ein Stöhnen, und sie drückte sich an ihn.
Viel von dem, was Ihr seid, liegt hinter einer Tür verborgen,
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