Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige
verqualmte und sich darauf verließ, daß der Rauch durch Spalten in Wand und Decke abzog. Es gab ein niedriges Bett und eine schwere Holztruhe, die vermutlich zur Aufbewahrung von Durges Rüstung bestimmt war, wenn er sie nicht gerade trug, und die im Augenblick zweifellos leer war. Der Ritter trug sein graues Wams und den Umhang, aber die Kleider wirkten massiver als sonst, und bei jeder seiner Bewegungen klirrte es leise. Sein Breitschwert war an seiner schlanken Taille festgeschnallt.
Am meisten zog jedoch die Kommode des Gemachs Graces Aufmerksamkeit auf sich. Hier standen Tiegel, Glasphiolen, Tontöpfe und Öllampen mit schmiedeeisernen Ständern, die zur Aufnahme von Gegenständen dienten, die erhitzt werden sollten. Irdene Gefäße enthielten dicke Flüssigkeiten oder farbiges Pulver. Alles in allem erinnerte es an ein gutausgestattetes Chemielabor.
»Durge, was ist das alles hier?« fragte Grace den Ritter.
Er strich sich anscheinend verlegen den Schnurrbart. »Nichts, Mylady. Ich habe ein gewisses Interesse an Alchimie, das ist alles. Ich weiß nur wenig.« Er trat an die Kommode, nahm etwas und reichte es Grace. »Danke, daß ich es studieren durfte.«
Grace nahm den Gegenstand entgegen. Es war Trifkin Moosberes Armband. Als Durge es am Vortag gesehen hatte, hatte er sein Interesse daran zum Ausdruck gebracht, insbesondere an dem Talisman aus dunklem Stein, und sie darum gebeten, es untersuchen zu dürfen. Grace hatte es ihm gegeben, aber erst jetzt begriff sie den Grund seiner Neugier. Sie schob sich den Reif über die Hand.
»Wißt Ihr, was es ist?« fragte sie. »Ich meine natürlich den Talisman.«
»Ich konnte ein paar Tests durchführen«, erwiderte Durge. »Ich glaube, es ist ein Stück von einem Magnetstein.«
»Magnetstein?« Aryn runzelte die Stirn. »Ihr meint einen Stein, der vom Himmel fiel?«
Durge nickte. »Das ist richtig, Mylady. Ich habe gehört, daß die Astronomen im Süden solche Steine Meteoriten nennen, aber in den Domänen heißen sie Magnetsteine. Es handelt sich um dieselbe Art Stein, aus dem auch das Artefakt Malachors im Großen Saal besteht.«
Beltan stieß einen Pfiff aus. »Das muß aber ein gewaltiger fallender Stern gewesen sein. Man braucht zehn Männer, um das Ding zu verrücken. Allerdings kann man den Steinring selbst ohne große Probleme drehen.«
Grace betrachtete den Armreif mit seinem Talisman, dann dachte sie an den massiven Ring aus schwarzem Stein im Großen Saal. Also bestand zwischen den beiden eine Verbindung. Diese Tatsache schien irgendwie von Bedeutung zu sein, obwohl sie nicht sagen konnte, warum das so war.
»Ist jeder bereit?«
Das war Travis. Die grauen Augen hinter der Nickelbrille blickten ernst, und das über dem Bart zu erkennende Gesicht war bleich.
Verengung der Kapillaren – eine unwillkürliche Reaktion. Er hat Angst, Grace. Diese Diagnose hätte sie beinahe auflachen lassen. Vermutlich waren ihre Kapillaren genauso verengt.
Sie atmete tief durch, dann trat sie auf die anderen zu. »Ich bin bereit.«
Beltan nickte. »Ich auch.«
Aryn richtete sich auf. Ihr dunkles Haar war auf komplizierte Weise in Rollen gelegt und mit Perlen durchzogen. »Ich schätze, ich bin auch bereit.«
»Und ich ebenfalls«, verkündete Durge in seinem grimmigen Tonfall.
Travis seufzte und legte eine Hand auf das Stilett in seinem Gürtel. »Ich auch. Dann sind wir wohl alle bereit. Jeder weiß, was er zu tun hat?«
Jeder der fünf Anwesenden nickte.
»Dann ist wohl die Zeit zum Aufbruch gekommen.«
Sie gingen in Richtung Tür, aber dann blieb Grace noch einmal stehen, drehte sich um und sah Travis an.
»Können wir ihnen vertrauen?« sagte sie leise. »Ich meine Trifkin und seine Truppe?«
Travis schien über ihre Frage nachzudenken, dann schüttelte er den Kopf. »Nein, ich glaube nicht, daß wir ihnen vertrauen können. Sie sind älter als wir und anders. Aber ich glaube auch nicht, daß sie viel für den Fahlen König übrig haben.« Er zuckte mit den Schultern. »Wir müssen eben hoffen, daß das reicht.«
Grace nickte. Sie musterte jedes Mitglied des Kreises, und erst als sie damit fertig war, begriff sie, daß sie sich jeden ins Gedächtnis eingeprägt hatte, und zwar genauso, wie er oder sie in diesem Augenblick aussahen. Voller Furcht, den eigentlichen Grund dafür zu kennen, eilte sie zur Tür, bevor sie ihre Entschlossenheit verlor, bevor sie den Gedanken zuließ, daß dieser Plan möglicherweise einen dieser Menschen – einen ihrer
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