Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige
Minuten später standen die drei – ohne Kätzchen – vor einer Tür. Dies hier war ein stiller Teil des Schlosses, ein Turm, der ein Stück abseits vom Bergfried lag.
Travis sah sich um. »Seid Ihr sicher, daß wir hier richtig sind?« fragte er Durge.
Der Ritter zuckte mit den Schultern. »Lady Aryn erwähnte, daß des Königs Schauspieler im Nordturm untergebracht sind. Das hier ist das einzige Gemach, das groß genug ist, um eine ganze Truppe aufzunehmen.«
»Das muß es sein«, sagte Grace.
Travis holte tief Luft. Wollte er das wirklich tun? Aber es gab keinen anderen, an den sie sich um Hilfe wenden konnten. Er hob die Hand, zögerte, dann klopfte er an der Tür.
Keine Antwort. Stille schlich auf verstohlenen Pfoten durch den Korridor. Travis schluckte schwer, dann streckte er die Hand erneut aus.
Die Tür schwang auf.
»Wer ist da?« rief Travis.
Keine Antwort. Jenseits der Tür waren nur Schatten und Halbdunkel zu erkennen.
»Gehen wir«, sagte Grace.
Durge lockerte das Messer in seiner Scheide. »Ich warte hier draußen. Ruft mich, wenn Ihr Hilfe braucht.«
Travis bezweifelte, daß die Klinge des Ritters viel gegen das ausrichten konnte, was jenseits dieser Tür auf sie wartete. Doch er sparte sich die Bemerkung. Er wechselte einen Blick mit Grace, dann traten sie zusammen durch die Tür.
Hinter ihnen ertönte ein dumpfes Geräusch – vermutlich die zuschlagende Tür, auch wenn es gedämpft und wie aus weiter Ferne klang. Travis rückte die Brille zurecht und blickte sich um. In dem Gemach gab es schon Licht, es war silbrig und schien keiner bestimmten Quelle zu entspringen. Auf dem Boden lagen Binsen gestreut, Wandteppiche bedeckten die Steinwände. Sie zeigten einen grünen Wald, dessen dichtes Unterholz weiße Hirsche, Vögel und kristallklare Brunnen verbarg. Er tastete nach Graces Hand und ergriff sie, und sie schritten tiefer in das Gemach hinein.
Helles Glockengeläut ließ die Luft flimmern und verklang, nicht ohne ihm jedoch eine Gänsehaut zu verschaffen.
»Hier entlang«, sagte Grace.
Sie folgten dem Gebimmel durch einen Durchgang hindurch. Weitere Wandteppiche bedeckten die Wände, aber sie schienen enger beieinander zu hängen und dunkler zu sein. Die Wandteppiche waren mit großer Kunstfertigkeit gewebt worden. Travis konnte winzige Einzelheiten ausmachen: die Beschaffenheit von Baumrinde, das gesprenkelte Licht auf der Oberfläche eines Baches. Sie gingen weiter. Ein feuchter Geruch stieg auf, frisch und grün, so ganz anders als der übliche Geruch, der im Schloß herrschte.
Der nächste Torbogen; er war zur Hälfte von einem der Wandteppiche verhüllt. Travis wollte ihn zur Seite drücken, um den Weg freizumachen.
Seine Hand strich über glatte Rinde, kühle Blätter liebkosten sein Gesicht.
Nein, das war unmöglich. Es war nur ein Wandteppich. Er drehte sich zu Grace um. Sie schien überrascht zu sein. Er wollte etwas sagen, aber ein raschelndes Geräusch hielt ihn davon ab, und etwas Blutrotes schoß an ihnen vorbei. Travis blickte ihm nach. Es ließ sich auf einem Ast nieder: ein kleiner Vogel, dessen Brust die Farbe von Beeren hatte. Der Vogel betrachtete sie mit leuchtenden Augen.
Grace drückte fest seine Hand. »Travis, wo sind wir?«
Hier und dort waren noch immer die steinernen Wände des Gemachs auszumachen, der Fußboden bestand noch immer aus Holz, allerdings bedeckten ihn nun keine zurechtgeschnittenen Binsen mehr, sondern abgefallene Blätter. Irgendwo plätscherte Wasser, und statt Deckenbalken krümmten sich Äste über ihren Köpfen.
»Ich bin mir nicht sicher.«
Aber vielleicht entsprach das nicht der Wahrheit. Vielleicht war das hier zugleich Schloß und Wald.
»Ich grüße euch«, sagte eine Fistelstimme.
Travis und Grace drehten sich um.
»Trifkin!« sagte Travis.
Der kleine Mann saß mit übereinandergeschlagenen Beinen auf einem Baumstumpf, seine Jacke verschmolz mit den Blättern. Es war nur schwer zu sagen, aber das silbrige Licht schien aus seiner Richtung zu kommen.
»Ich wußte, daß ihr beiden kommt«, sagte Trifkin. »Und zugleich fürchtete ich, ihr würdet es nicht tun.«
»Trifkin, wir brauchen Eure Hilfe.« Grace trat einen Schritt auf ihn zu. »Wir müssen eine Möglichkeit finden …«
Der kleine Mann hob eine Hand und nickte. »Ich weiß.«
Travis gesellte sich wieder an Graces Seite. »Aber wie könnt Ihr das wissen?«
»Ich habe gesehen, wie er ausgeführt wird«, sagte Trifkin. »Euer Plan für das Fest der
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