Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige
Schultern zurück, in der Erwartung, daß der König wütend reagierte, sie mit seinen starken Händen packte und sie zur Seite schleuderte oder sie in kleine Stücke riß. So wie sie ihn verraten hatte, wäre es vielleicht sogar eine Erleichterung gewesen.
Statt dessen grinste er sie an. »Gut, Mylady. Sehr gut! Ich bin ein geübter Beurteiler von Charakteren, aber Ihr seid in diesem Spiel noch viel besser, als ich jemals gerechnet hätte.«
Sie hatte sich auf Zorn eingestellt. Sein Gelächter brachte sie aus der Fassung. »Euer Majestät?«
»Aber versteht Ihr denn nicht, Mylady? Ein guter Spion verwirft keinen Verdacht und keine Möglichkeit, bis das Gegenteil erwiesen ist. Ihr habt recht getan damit, daß Ihr mich nicht für unschuldig hieltet, bis Ihr Beweise in der Sache hattet. Es gibt andere, die viel von Euch lernen könnten.«
Sein Blick fiel auf Aryn, und sein Mündel errötete.
»Aber sagt mir, Mylady Spionin«, fuhr Boreas fort. »Jetzt, da Ihr wißt, daß nicht ich hinter der Verschwörung in meinem Schloß stecke, wer ist es dann?«
Grace befeuchtete sich die Lippen. »Der Rabenkult und der Fahle König.«
Boreas strich sich den schwarzen Bart. »Also glaubt Ihr dem Barden?«
Falken trat vor und setzte zum Sprechen an, aber Grace schüttelte den Kopf.
»Nein, Falken. Bitte, laßt es mich erzählen. Ich muß es tun.«
Der Barde erwiderte ihren Blick, dann nickte er. Sie holte tief Luft und trat einen Schritt näher an den König von Calavan heran.
»Ihr habt recht, Euer Majestät. Ich bin eine gute Spionin, obwohl ich mir nicht hätte träumen lassen, daß ich so etwas sein könnte. Ich habe in den vergangenen Wochen eine Menge gelernt, unter anderem, etwas nicht als unglaubwürdig zu betrachten, bloß weil andere es geringachten. Was auch immer Ihr von Falkens Geschichte haltet, ich habe die Beweise gesehen, und meine … Freunde auch. Ich weiß, daß es den Fahlen König gibt.«
Boreas erwiderte ihren trotzigen Blick mit ruhigem Verständnis. »Ich habe nie gesagt, ich würde nicht an den Fahlen König glauben, Mylady.«
Grace war nicht die einzige, die vor Erstaunen aufkeuchte.
Boreas runzelte die Stirn. »Ihr braucht nicht alle so überrascht zu tun. Oder glaubt ihr wirklich, euer König ist so schwer von Begriff?« Er wandte sich von Grace ab, ging zum Feuer und kniete nieder, um eine der schwarzen Bulldoggen zu streicheln, die vor dem Kamin schliefen. »Ich weiß über den Fahlen König Bescheid. Warum, glaubt ihr, habe ich den Rat einberufen?« Er schnaubte. »Weil ich vor ein paar zerlumpten Räubern Angst habe, so wie Eminda behauptete?«
Grace schüttelte den Kopf. Sie konnte sich nicht vorstellen, daß sich Boreas vor irgendeinem Sterblichen fürchtete.
Der König richtete sich auf und wandte sich dem Barden zu. »Nach Eurem letzten Besuch, Falken Schwarzhand, habe ich Eure Warnung, in Falengarth rege sich Finsternis, keinesfalls gedankenlos verworfen – auch wenn Ihr das geglaubt habt. Ich hatte die Anzeichen selbst gesehen, und ich habe ein paar eigene Nachforschungen betrieben. Ich konnte mir nicht sicher sein, nicht bevor Ihr dem Rat die zerbrochene Rune zeigtet, aber sobald Ihr damit fertig wart, wußte ich, daß ich recht hatte, daß der Fahle König wieder zu Macht gekommen ist.«
Falken ballte die Hand mit dem schwarzen Handschuh zur Faust. »Wenn Ihr mir geglaubt habt, warum habt Ihr dann nichts vor dem Rat gesagt?«
Boreas stemmte die Hände in die schlanken Hüften. »Und wie, glaubt Ihr, hätte mir das geholfen, mich mit dem Grimmigen Barden nach seinem Ausbruch zu verbünden? Wieviel Einfluß hätte ich dann über den Rat gehabt? Eure Neuigkeiten haben mir geholfen, Falken, sie bestätigten mir, daß ich recht darin getan hatte, die Versammlung einzuberufen, aber Eure Vorstellung hat meinen Plan, den Rat zur Mobilmachung zu überzeugen, zurückgeworfen, vielleicht sogar endgültig zunichte gemacht. Obwohl Lady Graces Neuigkeiten, so schlimm sie auch sind, vielleicht Anlaß zu neuer Hoffnung geben, den Rat doch noch zu vereinigen.«
Falken öffnete den Mund, aber es kamen keine Worte heraus. Zum ersten Mal erlebte Grace, daß der Barde sprachlos war. Sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf Boreas. Selbst im Nachthemd, das Haar vom Schlaf zerzaust, wirkte er mächtig und majestätisch. Ein Krieger, ja, aber kein Verrückter – das wußte sie nun.
»Nun, Ihr habt es geschafft, mich zu überraschen, Mylady«, richtete Boreas das Wort wieder an Grace,
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