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Die letzte Rune 03 - Der Runensteinturm

Titel: Die letzte Rune 03 - Der Runensteinturm Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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durchzudringen, entzog sich ihr jetzt genauso wie die Gabe. Sie war froh, als Daynen in den Saal zurückkehrte.
    »Darf ich dich etwas fragen, Daynen?« sagte sie vorsichtig.
    Er nickte und setzte sich auf eine Bank. »Aber natürlich, Mylady.«
    »Ich bin Heilerin«, sagte sie. »Deine Augen haben mich neugierig gemacht. Darf ich dich fragen, wie du dein Augenlicht verloren hast?«
    Er hob das Gesicht, und seine Locken fielen zurück. »Ich sah in die Sonne. Ich sah hinein und wandte den Blick nicht ab.«
    Grace blieb der Mund offenstehen. Sie hatte mit einem Fieber gerechnet, vielleicht auch ein Schlag gegen den Kopf, aber doch nicht mit so etwas. In die Sonne zu starren würde die Netzhaut versengen und den optischen Nerv buchstäblich verschmoren. Es gab nichts, das Grace hätte tun können, um einen solchen Schaden zu beheben.
    »Warum nur?« Die Frage entfuhr ihr unwillkürlich.
    »Sie kommen in Flammen eingehüllt. Das hat mein Vater gesagt. Also wachte ich eines Tages auf und wußte, daß ich in die Sonne sehen mußte, weil sie das größte aller Feuer ist. Ich wußte, daß, wenn ich nur lange genug hineinschaue, ich erkennen würde, was wir tun müssen, um sie aufzuhalten.«
    Grace schüttelte den Kopf und versuchte mühsam zu begreifen. »Von wem sprichst du? Wer kommt in Flammen eingehüllt?«
    »Die Verbrannten.«
    Grace hielt sich am Tischrand fest. »Du hast die Verbrannten gesehen?« Ihre Stimme war ein drängendes Flüstern. »Sag es mir, Daynen. Hast du sie gesehen?«
    Er schüttelte den Kopf. »Nein, aber mein Vater sprach von ihnen. Ein Mann, der aus dem Westen kam, hat ihm von ihnen berichtet. Der Mann erzählte, daß die Menschen ein Fieber bekommen und daß einige von ihnen sterben, aber andere nicht, daß sie so schwarz wie die Nacht werden und sich in die Verbrannten verwandeln und zurückkommen, um jedermann anzuzünden. Er hat auch ein anderes Wort benutzt. Kren … Krem …«
    »Krondrim«, murmelte Grace.
    Er nickte. »Ja, das war es. Er sagte, die Krondrim würden kommen und uns holen, so wie jeden in seinem Dorf.«
    Grace legte dem Jungen die Hände auf die Schultern und sprach in genau abgewägten Worten. Sie mußte es wissen, sie mußte sich sicher sein. »Daynen, das ist jetzt wichtig. Hat irgend jemand den Mann berührt – den, der aus dem Westen kam? Hatte jemand Kontakt mit ihm?«
    Daynen machte ein nachdenkliches Gesicht. »Ich glaube nicht, daß Vater ihn angefaßt hat. Er hat gesagt, daß etwas mit ihm nicht stimmen würde, er würde schlecht riechen. Der Mann hat sich mit Jastar unterhalten, glaube ich, aber danach habe ich ihn nicht mehr gesehen. Er muß weiter nach Osten gereist sein.«
    Entsetzen schnürte Graces Magen zusammen. Sie wünschte sich, sie hätte das saure Bier nicht getrunken.
    »Und ich habe etwas gesehen, Mylady. In der Sonne. Kurz bevor alles schwarz wurde, habe ich es ganz deutlich gesehen.«
    Sie rückte näher an ihn heran. »Was war es, Daynen? Was hast du gesehen?«
    Ein Lächeln umspielte seine Lippen. Es war ein seltsamer Ausdruck – entrückt und freudig zugleich. Glückselig, das war das Wort. Der Ausdruck auf dem Antlitz eines gemalten Heiligen, dessen bleicher Körper von Pfeilen durchbohrt wurde.
    »Mich selbst, Mylady. Ich trug ein Mädchen in meinen Armen, während ich auf den strahlenden Feldern der Sonne spazierenging. Es war wunderschön.«
    Grace fiel dazu keine Erwiderung ein. Sie konnte ihm nicht sagen, daß es nur eine Halluzination gewesen war, eine letzte Anstrengung des Sehzentrums seines Gehirns, dem sengenden Lichtstrom einen Sinn abzugewinnen, bevor das ganze System überladen wurde. Er hatte auf der Suche nach Antworten in die Sonne geblickt und nur Dunkelheit gefunden.
    Er seufzte und stand auf. »Ich werde nach oben gehen, Mylady. Ich habe Lord Eddocs Gemach gestern ausgelüftet, aber ich glaube, ich muß es noch einmal versuchen.«
    Grace nickte steif, als er den Raum verließ, obwohl sie wußte, daß er es nicht sehen konnte. Dann trat eine andere Gestalt durch die Tür. Grace blickte in geheimnisvolle braune Augen.
    »Das Kind hat die Sicht«, sagte Lirith.
    »Glaubt Ihr wirklich? Oder ist er nur ein dummer Junge, der zu lange in die Sonne gestarrt hat?«
    Lirith zuckte mit den Schultern. »Wer kann das sagen? Aber die einfachste Erklärung ist nicht immer die, die der Wahrheit am nächsten kommt, Schwester. Vergeßt das nicht.«
    Grace dachte darüber nach, aber die Dinge ergaben kein klareres Bild. Sie stand auf.

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