Die letzte Rune 03 - Der Runensteinturm
sein Blut!«
Grace erschauderte. Der freundliche Ritter, den sie kannte, war verschwunden. Nun schimmerte ein seltsamer Glanz in seinen Augen.
»Wartet.« Grace trat einen Schritt vor. »Ich glaube … ich glaube nicht, daß Ihr alles begriffen habt.«
Meridar starrte sie an. »Was gibt es da zu verstehen, Mylady? Der Verwalter hat seinen Herrn und unseren Gefährten getötet. Sein Leben ist verwirkt.«
Sie befeuchtete sich die Lippen. »Eddoc war an der Seuche erkrankt. Der Flammenpest. Seht nur, man kann die Verwandlung erkennen … sie hatte bereits begonnen. Ich glaube, Jastar hat ihn deswegen getötet. Damit sie sich nicht im ganzen Dorf ausbreitet.«
Meridar runzelte die Stirn. »Und Sir Kalleth? Hatte er auch die Seuche, Mylady?«
Grace trat unwillkürlich zurück; ihr Gesicht brannte, als hätte man sie mit der breiten Seite einer Klinge geschlagen.
»Seid Ihr dabei?« wandte sich Meridar an Durge.
Durge starrte ins Leere, so reglos, als wäre er aus Stein gemeißelt, dann stieß er die Luft aus und erwiderte den Blick des anderen Ritters. »Holt Euer Schwert, Sir Meridar.«
Grace legte dem Embarraner eine Hand auf den Arm. »Durge … bitte …«
Er schüttelte den Kopf, und seine Worte waren bedauernd und erbarmungslos zugleich. »Mylady, wir müssen das tun.«
Vorsichtig, aber ohne zu zögern löste er sich aus ihrem Griff, dann schoben Meridar und er sich an ihr vorbei.
Grace sah ihnen nach und umklammerte dabei den Türrahmen. Nein, sie würde nicht zulassen, daß Zorn von ihr Besitz ergriff. Auf diese Weise wurden Leben genommen. Meridar war auf Rache aus, und sie wußte, daß Durge ihn nicht kontrollieren konnte. Es war nicht abzusehen, was der Calavaner jedem antun würde, der sich ihm in den Weg stellte. Draußen gab es nur Bauern. Es würde ein Blutbad werden.
Sie zog die Tür zu Eddocs Gemach zu, dann drehte sie sich um und fing Liriths Blick auf. Diesmal bedurfte es keiner Magie, um die Botschaft zu übermitteln.
Lirith schob die schluchzende Baronesse von sich. »Schwester, müßt Ihr in unserem Gemach bleiben?«
Aryn wischte sich die feuchten Wangen trocken und zwang die Schultern zurück. »Nein, ich kann hier nicht bleiben. Nicht mit …« Sie sah zu der verschlossenen Tür. »Kommt«, sagte Grace. »Wir gehen zusammen.«
Sie bewegte sich auf die Treppe zu, und die anderen schlossen sich ihr an.
»Was wollt Ihr tun, Schwester?« fragte Lirith.
Grace sagte die Wahrheit. »Ich weiß es nicht.«
Die drei Frauen verließen das Herrenhaus und traten in dichten Nebel. Um sie herum erhoben sich gespenstergleich blasse Umrisse: Häuser und Bäume. Grace suchte sich einen Weg durch das Zwielicht, wobei sie die Erinnerung an den Vorabend zur Hilfe nahm, und führte die Gruppe durch das Dorf.
Sie hatten bereits den Rand von Falanors Dorfanger erreicht, als Grace die beiden kleinen Gestalten bemerkte, die Lirith und Aryn folgten.
Du Idiotin. Du hättest Daynen und Tira befehlen sollen, beim Haus zu bleiben. Wenn etwas passiert, könnten sie verletzt werden.
Aber jetzt war es zu spät. Es war keine Zeit, sie zurückzubringen. »Bleibt hinter uns«, befahl sie den Kindern.
Daynen nickte und verstärkte den Griff um Tiras Schultern. Das stumme Mädchen blickte in den Nebel, als könnte es dort etwas sehen. Grace fröstelte.
»Schwester«, flüsterte Lirith und berührte Grace. »Die Gabe.«
Grace blieb stehen. Sie schaute in den Nebel, konnte aber nur flüchtige Umrisse ausmachen. Sie schloß die Augen und zwang sich, die Weltenkraft zu berühren. Da – Sekundenbruchteile, bevor ihr das Netz entglitt, erkannte sie schimmernde Lebensfäden, die sich über den Anger zogen. Sie riß die Augen auf. Sie waren nicht allein.
»Sei verflucht, Verwalter! Wo steckst du?«
Die Stimme, die keine zwanzig Schritte weit entfernt zu sein schien, ließ Grace zusammenzucken. Sie erkannte den wütenden Tonfall, selbst wenn sie ihn nicht sehen konnte. Meridar.
»Es ist besser, du zeigst dich, Jastar.« Diese Stimme war tiefer, ernster. Durge. »Du kannst dich nicht lange verstecken. Die Sonne geht auf, sie wird den Nebel wegbrennen.«
Stille. Dann ertönte rauhes Gelächter. »Nicht nur der Nebel wird brennen!«
Kettenhemden klirrten. Grace konnte sich vorstellen, wie sich die Ritter umdrehten, nach dem Sprecher suchten. Aber der Nebel hatte seltsame Auswirkungen auf Geräusche, einige dämpfte er, während er andere verstärkte.
»Ich kann nichts sehen«, zischte sie.
»Aber es ist so
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