Die letzte Rune 03 - Der Runensteinturm
Kochfeuern zu stammen. Und es war viel zu viel davon da.
Aryn schlug eine Hand vor den Mund, und Lirith stöhnte betroffen.
»Bei Vathris«, sagte Meridar. »Was ist hier passiert?«
Durge schüttelte den Kopf. Das Dorf war verschwunden.
Zumindest der größte Teil davon. Grace konnte die verbrannten und gesprungenen rechteckigen Linien steinerner Fundamente ausmachen, und hier und da standen noch die Überreste einer Mauer oder eines Schornsteins, aber das war alles. Das Dorf Tarafel war bis auf den Boden niedergebrannt.
»Tiermänner.« Kalleth spuckte das Wort förmlich aus »Sie müssen aus den Bergen geritten gekommen sein und das hier angerichtet haben.«
»Das glaube ich nicht«, sagte Durge. »Es gibt hier viele Meilen keine Stelle, an denen man den Dimduorn überqueren könnte.«
Kalleth starrte den Embarraner finster an, widersprach ihm aber nicht.
»Ich verstehe das nicht«, sagte Grace. »Die Feuer sind fast alle erloschen. Das muß schon länger her sein. Warum haben wir in Orsel nichts davon gehört?«
Aber sie hatte noch nicht zu Ende gesprochen, als sie die Antwort auch schon kannte. Aller Wahrscheinlichkeit nach waren sie die ersten Menschen von außerhalb, die seit Wochen in das Dorf gekommen waren. Aber wenn keine Invasoren die Siedlung vernichtet hatten, was dann? Grace konnte nicht glauben, daß sich ein Feuer auf diese Weise so ohne weiteres in einem Dorf ausbreiten konnte – selbst abseits stehende Häuser waren niedergebrannt.
Zum ersten Mal seit Tagen lächelte Aryn nicht, und ihre Stimme klang wie die eines kleinen Mädchens. »Aber wo sollen wir schlafen?«
Beinahe hätte Grace gelacht. Zweifellos erschien alles nicht länger wie ein großartiges Abenteuer.
Durge betrachtete den Horizont mit zusammengekniffenen Augen. »Neben der Baumgruppe, auf der anderen Seite des Dorfes, befindet sich ein Bauernhof. Sieht so aus, als wäre er unversehrt.«
Die mangelnde Auswahl verhinderte jede weitere Diskussion. Die Sechs ritten den Hügel hinunter und umgingen schweigend die Überreste des Dorfes. An einer Stelle lag etwas in ihrem Weg, das bis zur Unkenntlichkeit verbrannt hätte sein müssen, es aber nicht war. Die Arme waren über den Kopf gelegt, wie in einer letzten Geste des Ergehens. Oder des Entsetzens. Aryn keuchte auf und ließ den Kopf hängen. Grace zwang sich dazu, geradeaus zu blicken, als sie weiterritten.
Als sie den Hof erreichten, brach die Nacht herein. Im ersten Augenblick hielt Grace ihn für verlassen. Schwere Holzläden bedeckten die Fenster, unter der Tür schien kein Licht durch. Dann bemerkte sie den Rauch, der aus dem Schornstein quoll. Sie warf Durge einen Blick zu. Er nickte, drückte die Fersen in Schwarzlockes Flanken und ritt zu dem Bauernhaus, während die anderen ein Stück weit entfernt warteten.
Durge stieg ab und klopfte an der Tür. Er klopfte noch einmal, dann ein drittes Mal, und schien bereit, die wurmstichigen Bohlen einzutreten, als sich die Tür einen Spaltbreit öffnete. Grace sah, daß der Ritter einen Schritt zurücktrat. Warum? War er überrascht? Durge wechselte ein paar Worte mit der anderen Person, dann schloß sich die Tür wieder. Er stieg auf sein rußfarbenes Schlachtroß und galoppierte auf die anderen zu.
Was ist los? wollte Grace fragen, als er ruckartig anhielt, aber der Ritter ergriff zuerst das Wort.
»Eine Seuche«, sagte er mit grimmiger Miene.
Die anderen warfen ihm überraschte Blicke zu. Grace dachte über die Worte nach. Eine Seuche. War das der Grund für die Zerstörung des Dorfes? Sie hatte gehört, daß während der Zeit des Schwarzen Todes in Europa ganze Dörfer niedergebrannt worden waren, um die Ausbreitung der Beulenpest zu verhindern.
Grace ließ Shandis ein paar Schritte vorwärts gehen. »Wie viele sind in dem Haus krank?«
»Soweit ich sehen konnte nur einer«, erwiderte Durge. »Eine alte Frau machte die Tür auf. Ihr Mann ist krank.«
»Welche Symptome?«
»Das weiß ich nicht. Sie hat bloß gesagt, daß er hohes Fieber hat.«
Das reichte nicht. Fieber war ein Symptom zahlloser Krankheitsursachen, und Seuche war ein zu breiter Begriff, um weiterhelfen zu können. Auf dieser Welt konnte es Dutzende verschiedener pandemischer Krankheiten geben, die alle so schlimm wie die Beulenpest waren – oder schlimmer. Es gab nur eine Möglichkeit, wie sie herausfinden konnte, womit sie es zu tun hatten.
Bevor Durge nach Shandis’ Zügeln greifen konnte, trieb Grace die Stute zum Galopp an.
»Grace!«
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