Die letzte Rune 03 - Der Runensteinturm
denen sie vorbeikamen, sahen so gut wie verlassen aus.
Grace hatte gehofft, es würde sich eine Gelegenheit bieten, mit Lirith zu sprechen – über Aryn und das, was bei ihrem Aufbruch in Calavere geschehen war –, aber am dritten Tag wußte sie, daß das nicht leicht werden würde. Auf dem Ritt war Aryn nie weit von ihr oder Lirith entfernt. Und in keinem der beengten Gutshäuser, in denen sie übernachteten, hatte sich ein Plätzchen gefunden, an dem sie unter vier Augen mit Lirith hätte sprechen können. Graces Fragen würden warten müssen.
Am dritten Tag war Grace das Reisen bereits leid. Ihr Reitgewand war heiß und unbequem, verzog sich immer im Sattel und sammelte in jeder Falte Staub, so daß sie am Ende des Tages völlig verschmutzt war und eine halbe Stunde damit verbrachte, sich sauber zu klopfen. Ihre Muskeln schmerzten ständig, und ihr Kiefer fühlte sich an, als hätte sie die letzten drei Tage auf einem Stück Gummi herumgekaut.
Im Gegensatz zu ihr schien Aryn die Reise außerordentlich zu genießen. Sie strahlte auf ihrer Stute, und während sich Grace bei jeder Rast sofort auf den nächstbesten Stein fallen ließ und sich darauf konzentrierte, nicht den kleinsten Muskel zu bewegen, streifte die Baronesse durch die Gegend und sammelte Kräuter, Blumen und Blätter. Abends breitete sie sie dann auf einem Taschentuch aus und sprach ihre Namen und ihren Nutzen mit Lirith durch. Sie lachte oft, und es klang immer so hell wie Silber.
Es wurde schnell offensichtlich, daß Sir Meridar von Aryn verzaubert war. Er machte sich nicht einmal die Mühe, sein Grinsen zu verbergen, wenn er sie beobachtete, und die Baronesse bat ihn oft um kleine Gefallen, die er ihr begeistert erfüllte, und jedesmal schenkte sie ihm ein Lächeln, das sich Graces Meinung nach an der Grenze zur Bosheit befand. Selbst wenn das pockennarbige Gesicht des gutmütigen Ritters nicht zu unansehnlich für die Baronesse gewesen wäre, war doch seine gesellschaftliche Stellung ohne jeden Zweifel zu tief.
Lirith schien dieses Verhalten ebenfalls zu bemerken, und die Hexe runzelte die Stirn, wenn Aryn Meridar bat, für sie Wasser zu holen oder ein Blatt von einem Ast zu pflücken. Sir Kalleth runzelte ebenfalls die Stirn, aber das war der einzige Gesichtsausdruck, zu dem er fähig zu sein schien. Und falls Durge es bemerkte, sagte er nichts.
Grace gab sich alle Mühe, sich keine Sorgen um Aryn zu machen. Offenbar ging es ihr gut, und Grace wußte, daß es besser war, es einfach zu akzeptieren. Es spielte keine Rolle, wie der Patient genas, Hauptsache, er tat es. Außerdem gab es genügend andere Dinge, über die sich Grace Sorgen machen mußte, und mit jeder zurückgelegten Meile nahmen sie sie mehr ihn Anspruch. Würden Durge und sie Meridar und Kalleth überreden können, zum Grauen Turm zu reiten? Und wenn ja, würden sie rechtzeitig dort eintreffen? Und falls sie dort eintrafen, wie sollte sie Travis helfen?
Am dritten Tag ihrer Reise war die Sonne im Untergehen begriffen, als Grace nicht weit voraus Rauch in den Himmel steigen sah.
»Auf der anderen Hügelseite muß ein Dorf sein«, rief Kalleth über den Lärm der Pferde hinweg.
Durge zog an Schwarzlockes Zügeln und ließ sich zurückfallen. »Das müßte Tarafel sein«, sagte der Embarraner. »Ich hatte gehofft, daß wir es nicht verpaßt haben. Wenn ich mich richtig erinnere, ist es im Umkreis vieler Meilen das einzige Dorf.«
Grace atmete erleichtert auf. Durge irrte sich nur selten.
Aryn beschattete ihre Augen. »Ich sehe keinen Rauch«, sagte sie. »Wo ist er denn?«
Meridar brachte sein Schlachtroß in die Nähe von Aryns Stute. »Dort, Mylady«, sagte er, beugte sich nahe an sie heran und zeigte mit der Hand in die Richtung.
Die Baronesse nickte, dann drehte sie sich um und lächelte den Ritter an.
Grace knirschte mit den Zähnen, sagte aber nichts. Sie mußte sich nicht Lirith zuwenden, um zu wissen, daß die Hexe sie ansah.
»Dann los«, sagte sie.
Die Gruppe ritt den niedrigen Hügel herauf. Die Büsche, die auf ihm wuchsen, waren dichter, als es aus der Ferne den Anschein gehabt hatte, und als sie den Kamm erreichten, stand die Sonne schwer und tief hinter ihnen und warf rotes Licht auf das Land. Sie bahnten sich einen Weg durch die letzte verfilzte Mauer und blieben stehen.
Im ersten Augenblick glaubte Grace, der von dem Hügel geworfene Schatten würde ihren Augen einen Streich spielen. Alles war dunkel. Dann begriff sie. Der Rauch war zu dicht, um von
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