Die letzte Rune 04 - Die Flammenfestung
schließlich in die Wunde zurück. Als Dakarreth die Hand senkte, war weder von der Verletzung noch von dem Blut etwas zu sehen. Sein Fleisch war wieder makellos.
Beltan umklammerte die Marmorbank in dem Wissen, daß das Ende gekommen war. Wenigstens starb er im Kampf.
Dakarreths Stimme war ein giftiges Zischen. »Ich hätte wissen müssen, daß du dich gegen mich wendest. Aber im Verrat bist du ja geübt, nicht wahr, Beltan, Sohn des Beldreas?«
Eine neue Furcht stieg in Beltan auf. »Was wollt Ihr damit sagen?«
Dakarreth kam näher. Sein Gesicht war noch immer wunderschön, aber nun war es schrecklich anzusehen. Es war das Antlitz eines rachsüchtigen Gottes. »Du suchst doch noch immer nach dem Mörder deines Vaters, Beltan, nicht wahr? Ja, du suchst den Mann, der deinen Vater getötet hat, den alten und starken König Beldreas – den Mann, der ihm wie ein Feigling einen Dolch in den Rücken rammte und dann die Flucht ergriff. Stimmt das nicht?« Dakarreth kniete vor der Bank nieder. »Betrachte deine Suche als beendet.«
»Ihr!« stieß Beltan hervor und rang in der feuchten Luft wie ein Ertrinkender nach Atem. »Ihr habt meinen Vater getötet!«
Der Nekromant lachte. Er stieß Beltan mit dem Finger an.
»Nein, mein guter Ritter. Nicht ich habe Beldreas getötet. Du warst es.«
Das war Wahnsinn. Beltan wollte es nicht hören. Er wandte den Kopf ab, aber seine Ohren konnte er nicht verschließen. Dakarreths Finger fand die gezackte Narbe auf seiner linken Seite – die kaum verheilte Wunde, die ihm der Feydrim am Runentor beigebracht hatte – und strich darüber.
»Als der Fahle König erwachte«, sagte der Nekromant leise, »da bat er mich, in den Domänen Unruhe zu stiften, eine Aufgabe, die ich gern übernahm. Und es war so einfach. Ein paar geflüsterte Worte in deinen Träumen, ein paar Nächte lang, mehr brauchte es dazu nicht. Der Geist der Sterblichen ist so einfach zu formen.«
Beltan wollte sich bewegen, aber sein Körper war wie Stein. »Nein«, stieß er krächzend hervor.
»Aber du weißt doch, daß es die Wahrheit ist, Beltan. Hast du sie denn nicht in deinen Träumen gesehen? Wer sonst hätte so nahe an Beldreas herankommen können, ohne den alten König mißtrauisch zu machen, wer sonst als sein Bastardsohn?«
Dakarreth drückte gegen die Narbe, und ein greller Schmerz durchschoß Beltan – zusammen mit einem schrecklichen und glasklaren Begreifen. Vor seinem inneren Auge blitzte ein Bild auf, das er bereits in zahllosen Träumen gesehen hatte: Eine Hand ließ den Griff eines blutigen Dolches los. Seine Hand.
»Nein!«
Dakarreths Gelächter dröhnte in seinem Schädel. »Ja, Beltan. Sieh die Frucht deines Verrats. Sieh zu, wie du deinen eigenen Vater ermordest.«
Beltan schrie. Die Finger des Nekromanten gruben sich wir Messerklingen in die Narbe und rissen die Wunde auf, und Blut und Erinnerungen schossen hervor.
38
Grace stand wie erstarrt da, als Bruder Eriaun in das Turmgemach hinkte. Die Hände des Runensprechers waren schwarz und wie Klauen gekrümmt; gargekochte Fleischstücke schälten sich von der eitrigen und brandblasenübersäten Maske seines Gesichts.
Was war mit Eriaun geschehen? Hatte er die Flammenpest? Nein, seine Augen waren nicht schwarz und leer, sondern braun, und in ihnen flackerte das Licht des Wahnsinns. Es war ein Feuer gewesen – das Feuer der Rune, die Travis auf ihn zurückgeschleudert hatte. Aber er hätte tot sein müssen. Er roch tot. Wie konnte er dann am Leben sein?
»Mein Herr hatte recht«, sagte Eriaun freundlich, was den Schrecken noch verstärkte. »Er dachte sich, daß Ihr irgendeine Dummheit ausheckt, Lady Melia. Und hier seid Ihr, wie aufs Stichwort.«
Die Lady sah ihn wütend an. »Dakarreth ist hier der Narr. Selbst als Gott war er ein oberflächliches und weinerliches Gör. Wie ich sehe, hat sich in zweitausend Jahren nichts verändert.«
Grace holte zischend Luft. Vielleicht kannte sie jetzt die Antwort für Eriauns Zustand. War sein Herr nicht ein Nekromant – ein Todeszauberer? Sie faßte Tiras Schultern fester. Wie sollten sie jemanden töten, der nicht mal richtig am Leben war?
Eriaun hob einen Finger, und die Tür schwang hinter ihm zu. Es knirschte, als sich der Riegel vorschob. »So«, sagte der Runensprecher; seine zerrissenen Lippen ließen seine Aussprache undeutlich klingen. »Jetzt wird uns keiner stören.«
Travis schob sich mit dem Runenstab in der Hand an Melia und Aldeth vorbei. Sein Gesicht war auf eine
Weitere Kostenlose Bücher