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Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt

Titel: Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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seinem finsteren Antlitz zu zerquetschen.
    Silbergrünes Licht blitzte auf, riss den Schatten in Stücke und schleuderte sie zur Seite.
    Travis schaute in das Licht. Ihm stockte der Atem. Eine kleine, schlanke Gestalt stand mit ausgestreckten Armen vor ihm. Auf ihrer nach oben gedrehten Handfläche lag ein Stein. Von ihm ging das Licht aus.
    »Alice?«
    Sie lächelte und zeigte schiefe Zähne. »Ich bin es, großer Bruder«, sagte sie mit jener Stimme, die trotz des leichten Lispelns immer viel zu erwachsen geklungen hatte. »Hier. Das habe ich dir gebracht.« Sie hielt den Stein in die Höhe. Seine Oberfläche wies ein fleckiges Graugrün auf. Sinfathisar.
    Er starrte sie an. »Aber wie …«
    Sie zuckte mit den dürren Schultern. »Keine Ahnung, großer Bruder. Aber ich glaube, du brauchst das hier, also habe ich es dir gebracht. Okay?«
    Travis nahm mit zitternder Hand von ihr den Stein entgegen. »Okay.«
    Er legte die Finger um die glatte Oberfläche des Großen Steins. Alice sah genauso aus, wie er sie in Erinnerung hatte, die braunen Zöpfe, das blaue Kleid, das zu ihrer Augenfarbe passte.
    »Du kannst nicht hier sein, nicht in Wirklichkeit, weißt du?«
    Alice lächelte wieder, aber es lag eine Frage in dem Lächeln, und auch Trauer. Sie legte den Kopf schief. »Ich liebe dich auch, Travis.« Dann drehte sie sich um, trat durch die Tür und verschwand in der dahinterliegenden Dunkelheit.
    Travis stand auf, um ihr nachzugehen.
    Du kannst ihr nicht folgen, Travis.
    Die Stimme war wieder ganz nahe, und sie war zärtlich Zerrissene Erinnerungen glommen in seinem Verstand auf und er kämpfte darum, sie zusammenzufügen.
    »Grace?«, flüsterte er.
    Ich bin’s, Travis.
    »Ich muss ihr folgen.«
    Aber das kannst du nicht. Sie ist nie in Wirklichkeit da gewesen. Nichts von dem hier. Ich glaube, ich verstehe endlich, was er getan hat. Er erschafft die Illusion, um dich zu binden, als Möglichkeit, uns alle zu binden. Bis er stark genug ist, uns zu verschlingen. Du musst den Stein benutzen, um ihn aufzuhalten, bevor es zu spät ist.
    »Den Stein benutzen, um was aufzuhalten?«
    Den Schatten der Vergangenheit …
    Und endlich begriff er.
    O Grace – hilf mir.
    Einen Augenblick lang war er schrecklich allein und hing in der Leere zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Dann näherte sich ein kühles und tröstliches Bewusstsein, und ein grüngoldenes Licht hüllte ihn ein.

36
    Travis erwachte. Das hier war keine Illusion.
    Er lag auf dem Boden der Etherion. Ein Sturmwind peitschte auf ihn ein und schleuderte kleine Steinchen in sein Gesicht. Ein klaffendes Loch war oben in die blaue Kuppel gerissen worden, an einigen Stellen waren die Wände nach innen eingestürzt. Noch während er hinsah, zerplatzte in der Nähe eine Reihe von Marmorsäulen. Aber die Trümmer stürzten nicht auf ihn herab. Stattdessen flogen die Steine zehn Meter in die Höhe und beschrieben eine Spirale wie Wasser in einem Abfluss. Andere Steinbrocken kreisten durch die Etherion und kamen mit jeder Umrundung dem dunklen Fleck näher, der genau in der Mitte schwebte.
    Seine Erinnerung kehrte in kleinen, schmerzhaften Schüben zurück, und er wusste wieder alles. Er war Sareth, Durge und Lirith durch das Tor gefolgt, und sie hatten sich auf einem zerfallenden Balkon am Rand der Etherion wiedergefunden. Ein brausender Wind hatte wild an ihnen gerissen, und sie hatten sich an den Resten des Balkons festgekrallt, um nicht in die Luft gerissen zu werden.
    Der Dämon war da gewesen, im Mittelpunkt der Etherion, und er hatte an jedem Stück lebloser Materie – Marmor, Holz, Kleidung – gezogen und es ins Zentrum gerissen. Jedes Mal, wenn etwas den Dämon erreichte, gab es einen Lichtblitz, und das Objekt war verschwunden. Also hatte Xemeth Recht gehabt. Noch war der Dämon schwach und wartete darauf, dass seine Nahrung zu ihm kam – so wie Xemeth und die Scirathi das Tor benutzt hatten, um die Götter zu ihm zu bringen. Aber mit jedem Stück verschlungener Materie würde der Dämon stärker werden.
    Erst als Lirith aufgeschrien hatte, hatte Travis die schlafenden Gestalten gesehen, die zwischen den Trümmern auf ihren Rücken liegend schwebten. Also wurde nicht nur leblose Materie von dem Dämon angezogen. Melia und Falken, Grace und Aryn, Beltan und Vani – alle schienen zu schlafen, während sie in der Etherion umherflogen und mit jeder Umkreisung näher an den Dämon herankamen.
    Von Xemeth war keine Spur zu entdecken gewesen. Vielleicht war er

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