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Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt

Titel: Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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nicht wie, Jack.
    Unsinn! Natürlich weißt du es. Du bist ein Runenmeister – ich selbst habe dich zu einem von ihnen gemacht. Der Stein muss deinen Befehlen gehorchen. Jetzt tu es!
    Es blieb keine Zeit mehr übrig. Der Tentakel erreichte Travis und schlang sich um ihn. Er spürte, wie sein Ich sich aufzulösen begann. Alles Gute, das ihn jemals ausgemacht hatte, wurde weggerissen, und es blieb nur das nackte, verkohlte Gebein seiner dunkelsten Erinnerungen übrig. Wie er versuchte, Alice zu wecken, deren Haut wie Eis war. Wie er aus dem Magician’s Attic floh, während sich Jack allein den Phantomschatten in den Weg stellte. Die Erkenntnis, dass Max ihn an Duratek verraten hatte.
    Und endlich verstand er. Auf diese Weise machte es der Dämon, auf diese Weise zog er Menschen an, und auf diese Weise verschlang er sie schließlich. Er grub sich durch die Schichten ihres Lebens, legte die Abgründe ihrer Seelen frei, exhumierte sämtliche schlimmsten Augenblicke ihres Lebens. Und wenn einem nur diese finsteren Reste blieben, wer würde dann nicht den Wunsch verspüren, sich dem Nichts zu ergeben?
    Der schwarze Tentakel verstärkte den Druck um ihn, kratzte die letzten Reste Trost fort, an die er sich klammerte, und ließ nur erstarrte Relikte des Schmerzes zurück. Die verblichene Fassade des Farmhauses in Illinois an dem Tag, an dem er es für immer verließ. Der Wahnsinn in Max’ fiebrigen Augen, als die Flammen ihn verschlangen. Beltan, der reglos in seinem eigenen Blut unterhalb von Schloss Spardis lag. Der nackte Fleck frisch umgegrabener Erde, den er von seinem Schlafzimmerfenster aus sehen konnte …
    Nein.
    Das Wort war kaum lauter als ein Flüstern, aber er hörte darauf, als wäre es ein Aufschrei gewesen. Nein, er würde nicht zulassen, dass das seine einzige Erinnerung an sie blieb – die winzige Gestalt, die man an jenem grauen Tag in Illinois in die feuchte, mit Würmern gefüllte Erde warf. Ihr schiefes Grinsen, ihr elfenhaftes Gelächter, ihr kleiner Körper, der sich in seine Ellenbeuge schmiegte, wenn sie gemeinsam ein Buch lasen. Ganz egal, was danach auch geschehen sein mochte, er würde diese Dinge nicht vergessen. Niemals.
    Ich liebe dich, großer Bruder.
    Ich liebe dich auch, Kleines.
    Es war so schrecklich schwer. Seine Finger waren beinahe durchsichtig; er stand bereits im Begriff, sich aufzulösen. Mit dem letzten Funken Willenskraft nahm er Sinfathisar, berührte mit ihm den Tentakel des Dämons und traf seine Entscheidung.
    »Sei Stein.«
    Es war weniger als ein Flüstern. Aber Jacks Stimme sagte die Worte in seinem Geist, und hundert andere Stimmen wiederholten sie in einem lauten Chor, die Stimmen sämtlicher Runenmeister, die je gelebt hatten und nun wie ein Mann durch ihn sprachen.
    SEI STEIN!
    Grelles, silbergrünes Licht blitzte auf und brannte sich einen Weg durch seine Hand hindurch. Ein Kreischen ertönte, das kein Laut war – ein schriller Nicht-Laut der Qual, der seinen Geist durchbohrte, bevor er abrupt abschnitt. Der Sturm ließ an Kraft nach.
    Dann stürzte Travis zusammen mit einem verformten Brocken aus schwarzem Stein und allem anderen in der Etherion dem Marmorboden entgegen – zehn Meter in die Tiefe.

37
    »Halt!«, rief eine helle Stimme voller Macht.
    Unsichtbare Hände schienen Travis zu ergreifen und hielten seinen Sturz auf. Unter ihm krachten zahllose Tonnen Stein und all das andere Treibgut, das unter dem Bann des Dämons gestanden hatte, mit zerstörerischer Kraft auf den Boden der Etherion. Ein Laut wie hundert Donnerschläge, die sich zu einem einzigen verbanden, hallte von den Überresten der blauen Kuppel zurück.
    Der Donner verklang, ein paar übrig gebliebene Steinchen prasselten auf die Trümmer am Boden.
    Travis, der mitten in der Luft schwebte, verdrehte den Kopf. Die anderen schwebten ebenfalls, und sie sahen genauso erstaunt wie er aus. Lirith, Durge und Sareth trieben in einer engen Gruppe ganz in seiner Nähe, während ein Stück entfernt in der anderen Richtung Aryn, Beltan und Vani schwebten, genau wie Falken und Melia. Melia strahlte blaues Licht aus; sie hatte die Hände gegen die Schläfen gedrückt, und ihr Gesicht war vor Konzentration verzerrt.
    In Travis stieg Panik auf – als er Grace das letzte Mal gesehen hatte, hatte sie sich auf dem Boden der Etherion befunden. Dann seufzte er erleichtert auf, als er sie nicht weit entfernt von Melia wach und gesund schweben sah. Die Macht des Dämons musste sie kurz vor dem Ende in die

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