Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt

Titel: Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
Vom Netzwerk:
holte tief Luft, dann schloss sie die Augen, griff hinaus und berührte das schimmernde Netz der Weltenkraft. Sie tat es mit Leidenschaft, ohne auch nur etwas von sich zurückzuhalten, und zum ersten Mal umarmte Grace die funkelnden Fäden – umarmte sie das Gefüge des Lebens – ohne Furcht.
    Es war großartig.
    Grace?
    Das war Aryns Stimme, die in ihrem Geist sprach.
    Grace, geht es dir gut?
    Wie sollte sie das nur erklären?
    Das tut es, Aryn, webte sie als Antwort. Zum ersten Mal in meinem ganzen Leben geht es mir richtig gut.
    Ärztin, heile dich selbst.
    Grace öffnete die Augen. Die anderen sahen sie neugierig an. Sie zog eine Grimasse, dann lachte sie.
    »Tut mir Leid«, sagte sie und beließ es dabei. Wie Lirith sie einst gelehrt hatte, war es für ein Mädchen nicht verkehrt, ein paar Geheimnisse zu haben.
    Sie hörte auf zu lachen. Dabei ertappte sie sich, wie sie Vani, Melia und Falken ansah. Was hatten sie geträumt als sie unter dem Bann des Dämons gestanden hatten. Aber was es auch war, sie schienen nicht darüber sprechen zu wollen. Doch Falkens von den Elementen gegerbtes Gesicht sah abgezehrt aus, und Grace glaubte zu wissen, welchen Augenblick ihn der Schatten noch einmal hatte durchleben lassen: der Tod eines Königreichs.
    Aber Malachor ist nicht tot, oder? Nicht richtig jedenfalls, nicht, solange du hier bist.
    Natürlich war das absurd. Aber andererseits galt das auch für die hundert anderen Dinge, die ihr seit jener Nacht im Oktober vor nicht mal einem Jahr passiert waren. Als sie nach Eldh gereist war. Als sie nach Eldh zurückgekehrt war.
    Sie berührte den Stahlanhänger an ihrem Hals. Du bist eine Königin, ob es dir gefällt oder nicht. Aber glücklicherweise bist du die Herrscherin eines Königreichs, das nicht mehr existiert. Du musst zugeben, das macht die Sache ganz bequem. Den ganzen Glanz und die Pracht, aber nichts von der Last.
    »Was ist mit dir, Grace?«, fragte Beltan. »Was hast du in dem Schatten gesehen?«
    Sie fasste die Kette fester und befeuchtete sich die Lippen. »Es war das Waisenhaus, in Colorado. Ich war wieder in der Nacht da, in der es niederbrannte. Nur dass ich …«
    Ihr Herz überschlug einen Schlag, und trotz der warmen Luft fröstelte sie. »Ich war es. Ich war diejenige, die es getan hat. Ich wusste nicht mehr, dass es so passiert war. Ich … ich glaube, ich habe es damals nicht verstanden. Aber jetzt, wo ich es noch einmal erlebt habe, war es so klar.«
    Aryn kam näher. »Was war klar, Grace?«
    »Das Feuer. Ich habe das Feuer entzündet, das das Waisenhaus zerstört hat. Mit einem Zauber.«
    Die Baronesse starrte sie erstaunt an; Melia presste die Lippen zusammen und nickte.
    »Ich habe gehört, dass sich das Talent einer Hexe in einem Augenblick großer Belastung zum ersten Mal manifestieren kann«, sagte Melia.
    Grace wurde schwindelig. Belastung. Ja, das war das richtige Wort dafür. Sie erinnerte sich an die Treppe, die Tür, die sich öffnete, und Mrs. Fulch auf der Chaiselongue, die klaffende Wunde in ihrer Brust …
    Sie sah den Barden an. »Falken, ich muss dir etwas erzählen, was ich gesehen habe. Es war so schrecklich, ich muss … ich muss die Erinnerung irgendwo tief in meinem Inneren vergraben haben. Aber jetzt weiß ich wieder alles. Ich …«
    Die anderen sahen sie besorgt an. Falken nahm sie bei beiden Schultern und hielt sie sanft, aber bestimmt fest.
    »Was ist es, Liebes?«, fragte der Barde. »Du bist hier in Sicherheit. Du kannst es uns sagen.«
    Es fiel ihr so schwer, es auszusprechen. Die Worte sprudelten wie Glassplitter aus ihr heraus.
    »Eisenherzen. In dem Waisenhaus auf der Erde. Ich sah, wie sie ein neues machten. Mrs. Fulch. Sie steckten es in ihre Brust, den Eisenklumpen, und sie wachte auf. Und der andere war da. Einer der Blassen. Und ich sah es im Licht des Phantomschattens – das Symbol des Rabenkultes.« Sie schüttelte den Kopf. »Aber es ist keine Rabenschwinge. Es war ein Auge – ein Auge in einem schrecklichen Antlitz, und sie sagten, sie würden ihm helfen, zurückzukehren, zu seiner Welt zurückzukehren und alles zu beherrschen.«
    Melia wurde aschfahl. Falken grub die Finger in Graces Fleisch und sah sie mit zwingendem Blick an.
    »Wer, Grace? Wem wollten sie helfen, in seine Welt zurückzukehren?«
    Irgendwie zwang sie die Worte eines nach dem anderen heraus. »Der Herr des Sonnenuntergangs.«
    Melia keuchte auf, und Falken fluchte. Dann schien der Barde zu bemerken, dass er ihr brutal die

Weitere Kostenlose Bücher