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Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt

Titel: Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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hatten.
    »Lirith?« Travis sah sie mit gerunzelter Stirn an.
    »Ja?«
    »Ihr habt mich angestarrt. Was ist? Bin ich nicht richtig frisiert? Oh, wartet.« Er rieb sich über den kahlen Kopf und grinste.
    »Verzeiht mir«, sagte sie. »Ich bin … ich bin noch nicht richtig wach.«
    Travis nickte bloß, aber Grace sah sie fragend an. Glücklicherweise ergriff wieder Travis das Wort, bevor Lirith sich genötigt fühlte, alles über die Hexen auszuplaudern.
    »Guten Morgen, Sareth. Was habt Ihr da?« Travis zeigte auf die Karte in Sareths Hand.
    »Vielleicht könnt Ihr mir das sagen. Als ich heute Morgen aufstand, zog ich eine Karte aus Al-Mamas Spiel, um zu sehen, was der Tag bringt.«
    Er drehte die Karte um. Lirith schlug die Hand vor den Mund. Die Spielkarte zeigte einen Mann, in dessen Rücken drei Schwerter steckten.
    Travis zuckte zusammen. »Ich muss sagen, das sieht nicht gerade wie ein gutes Zeichen aus.«
    »Nein«, erwiderte Sareth. »Das ist es nicht. Diese Karte bedeutet Verrat. Ich würde sagen, wir werden heute verraten.«
    »Aber von wem?«, fragte Grace.
    Lirith verschränkte die Arme und wandte sich ab. »Wir sollten Lady Melia besser nicht warten lassen.«

25
    Der Vormittag war zur Hälfte vorüber, und die grelle Sonne schien hell auf die weißen Mauern, während sie die Hauptstraße entlanggingen, die durch die fünf Kreise von Tarras führte.
    »Also gut«, murmelte Travis, »bin ich hier der Einzige, der sich irgendwie auffällig vorkommt?«
    Er zupfte an seiner neuen Kleidung herum: knielange Hosen, weites weißes Hemd und eine rote, mit gelben Stickereien verzierte Weste. Ein Tuch verbarg seinen kahlen Schädel, und seine silbernen Ohrringe unterstützten den Eindruck noch. Wäre seine blasse, noch immer neue Haut nicht gewesen, hätte man ihn mit einem Mournisch verwechseln können.
    Bei der Karawane hatten Sareth und Vani sie alle mit neuer Kleidung ausgestattet.
    Das ist nur eine Vorsichtsmaßnahme, hatte Sareth gesagt. Wir werden vermutlich weniger unerwünschte Aufmerksamkeit von den Scirathi erregen, wenn wir bloß als eine Gruppe von Mournisch auftreten, die in die Stadt gekommen ist, um Leuten die Zukunft vorherzusagen und Tand zu verkaufen.
    Graces Aufmachung unterschied sich kaum von Travis’. Sie war größer als jeder in ihrer Gruppe mit Ausnahme von Beltan und Travis, und keines der Kleider der Mournisch-Frauen hatte ihr gepasst. Ihr aschblondes Haar verbarg sich hoch gesteckt unter einem Hut ohne Krempe. Vani hatte ihr sogar ein kurzes Schwert gegeben, das sie an der Hüfte trug. Die anderen trugen helle Farben und funkelnden Schmuck. Sogar Durge, der sich bereit erklärt hatte, seinen Schnurrbart zu stutzen und die Stoppeln am Kinn im Mournisch-Stil wachsen zu lassen – wenn auch nicht kampflos. Aber als Aryn erwähnte, er sähe zehn Winter jünger aus, hörte er auf zu knurren.
    »Wenigstens funktioniert es«, sagte Grace als Antwort auf Travis’ Klage. »Sieh doch. Niemand kommt auch nur in unsere Nähe.«
    »Kann man ihnen ja auch wohl kaum verdenken. Marji würde uns in einer Sekunde wegen Verbrechen gegen die Mode verhaften lassen.«
    Grace seufzte, dann strich sie über ihre verzierte Weste. »Nein, ich glaube, es hätte ihr gefallen.«
    Je länger Grace darüber nachdachte, desto mehr wurde ihr klar, wie gut Sareths Entscheidung mit der Verkleidung war. Die Scirathi hassten die Mournisch, aber sie verachteten das Vagabundenvolk auch. Sie würden einer abgerissenen kleinen Gruppe, die in die Stadt kam, um ein paar Münzen zusammenzuklauben, keine große Aufmerksamkeit schenken. Stattdessen würden die Zauberer nach Melia und Falken Ausschau halten und nach Lirith, Durge und Aryn. Und sie konnten unmöglich wissen, dass Travis, sie und Vani in der Stadt waren.
    Doch während sie dahergingen, kam Grace zu dem Schluss, dass es nicht nur ihre Verkleidung war, die sie unbehelligt ihres Weges ziehen ließ. Lirith hatte Recht. Die Bewohner von Tarras schienen benommen und abgelenkt. Viele von ihnen trugen einen Ausdruck offener Verwirrung auf den Gesichtern, standen mitten auf der Straße, hielten einen Eimer oder ein Kind oder einen Korb voller Waren und vermittelten den Eindruck, dass sie nicht die geringste Vorstellung hatten, was sie als Nächstes tun sollten. Dann waren da die Leute, die mit leeren Bechern an den Wänden saßen, über deren purpurverschmierte Lippen Fliegen krochen. Und doch ergab das keinen Sinn – Lirith hatte gesagt, dass dieses so genannte Elixier

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