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Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt

Titel: Die letzte Rune 06 - Die sterbende Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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verfärbten, dann schloss er die Augen, als wollte er beten.
    Und schrie auf, ließ das Amulett los und stolperte zurück. Auf seiner Handfläche war deutlich der rote Abdruck des Amuletts zu sehen. Es bildeten sich bereits die ersten Blasen.
    »Misar hat Euch verlassen!«, rief Melia aus. »Welche böse Tat habt Ihr begangen, um das zu verdienen? Nein, ich will es gar nicht wissen. Lasst uns ein, oder ich sorge dafür, dass sich alle Götter von Euch abwenden, so wie Misar es getan hat. Niemand wird Eure Gebete erhören, und wenn Ihr sterbt, wird man Eure Knochen den Geiern zum Fraß vorwerfen. Für Euch wird es nach Eurem Tod keine Erlösung geben, Meister, nur ewige Einsamkeit und Qual!«
    Melia sprach diese Worte mit einer solchen Überzeugung, dass selbst Grace erschauderte. Der Meister brabbelte etwas Unverständliches, dann drehte er sich um und kreischte etwas in einen Korridor hinein. Die rote Tür wurde zugeschlagen, und einen Moment später schwang die eine Hälfte des gewaltigen vergoldeten Tores quietschend auf.
    »Alle Mann hier entlang«, sagte Melia mit einem zufriedenen Lächeln.
    Von dem Meister fehlte auf der anderen Seite des Tores jede Spur, aber vier Soldaten warteten auf sie, um sie zum Kaiser zu bringen. Sie folgten den Männern über mit Mosaiken verzierte Plätze und vorbei an Teichen, in denen Fische in allen Farben des Regenbogens schwammen.
    »Was ist da eben passiert?«, fragte Falken leise. »Hat Misar den Meister des Tores tatsächlich verlassen?«
    »Mehr als das«, erwiderte Melia. »Hast du gesehen, wie ihn das heilige Symbol verbrannt hat? Misar hat den Mann mit einem Makel belegt.«
    »Ein Makel?«, fragte Grace.
    »Das ist eine Art Fluch, meine Liebe«, sagte Melia. »Die Götter tun so etwas nur selten – und dann auch nur bei jenen, die ein schreckliches Verbrechen begangen haben, etwas, das gegen alles verstößt, wofür der fragliche Gott einsteht.«
    Welches Verbrechen hatte der Meister begangen? Bevor Grace da nachhaken konnte, blieben die Soldaten vor zwei mit prächtigen Verzierungen versehenen Türflügeln stehen, die fast so groß wie das Tor des Ersten Kreises waren. Vor ihnen erhob sich ein gewaltiges weißes Gebäude, das mit einer Kuppel gekrönt war, die im Sonnenlicht golden glänzte. Zu beiden Seiten der Tür hingen weiße Banner, auf denen drei Bäume und fünf Sterne aufgestickt waren.
    Einer der Soldaten wandte sich Melia zu. »Ich werde den Kaiser informieren, dass Ihr da seid, Eure Heiligkeit.«
    »Danke, mein Lieber, aber das wird nicht nötig sein.«
    Die kleine Frau hob die Arme. Einen kurzen Augenblick lang legte sich ein bläulicher Lichtschimmer über ihre Hände, dann schwangen die Türen nach innen auf. Bevor der Soldat reagieren konnte, rauschte Melia auch schon hinein, und die anderen folgten ihr schnell. Sie fanden sich in einem Raum wieder, der so gewaltig war, dass Grace ein paar Momente brauchte, um überhaupt ein Gefühl für die Proportionen zu bekommen. Die winzigen Flecken am anderen Ende waren tatsächlich Menschen.
    Melia rauschte bereits über den weißen Boden. Grace beeilte sich, zu ihr aufzuschließen. Cremefarbene Katzen liefen ihnen ständig vor die Füße. Die Tiere sahen so kuschelig aus, dass Grace den Wunsch verspürte, eine davon aufzuheben und zu streicheln. Aber sie widerstand. Es war durchaus möglich, dass das Streicheln einer kaiserlichen Katze ein Verbrechen war, das mit dem Abhacken der Anstoß erregenden Hand bestraft wurde, wenn es denn dabei blieb. Grace entging nicht, dass viele der Katzen Melia in breiter Front zu folgen schienen.
    Nach einer ganzen Minute Fußmarsch nahmen die Flecken auf der anderen Seite des Saals schließlich Gestalt an, und Grace verschlug es ein zweites Mal die Sprache.
    Auf einem Thron aus weißem, mit goldenen Adern versehenen Marmor saß ein Mann, der nur der Kaiser sein konnte, denn er war beinahe genauso gewaltig wie das Reich selbst. Ein lose fallendes, weißes Gewand konnte die riesigen, wogenden Fleischmassen, die diesen Körper ausmachten, nicht verbergen. Arme so dick wie Graces Taille ruhten zu beiden Seiten des Throns, und Beine wie Baumstümpfe endeten in überraschend zierlichen, mit Sandalen bekleideten Füßen. Der Kopf des Kaisers – der verglichen mit dem Rest von ihm viel zu klein erschien – saß auf mehreren Ringen Fleisch, die einst vermutlich so etwas wie einen Hals dargestellt hatten. Sein Gesicht war rund, dabei aber überraschend ansehnlich geformt, und die

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