Die letzte Rune 07 - Die schwarzen Ritter
nicht …«
»Nein, es ist in Ordnung, Grace. Die Vergangenheit besitzt uns nicht. Das ist es doch, was wir in der Etherion gelernt haben, nicht wahr? Und ich glaube, ich will es schon länger jemandem erzählen. Ich glaube, vielleicht muss ich das sogar.«
Grace konnte sich nicht bewegen. Der Ritter hielt ihre Hand fester. Er sah sie nicht an, während er sprach, sondern blickte stattdessen auf einen Halbkreis kobaltblauen Himmels außerhalb eines hohen Fensters.
»Ich habe so viele Jahre nach dem Mann gesucht, der meinen Vater, König Beldreas, ermordet hat. Ich glaube, vielleicht habe ich insgeheim gedacht, dass ich, wenn ich seinen Tod räche, irgendwo am Ende doch noch seine Anerkennung finde. Vathris weiß, ich schien sie niemals erringen zu können, als er noch am Leben war, ganz egal, wie sehr ich mich danach sehnte. Erst auf Spardis habe ich dann die Wahrheit erfahren. Ich habe den Mörder meines Vaters die ganze Zeit gekannt. Du musst wissen, ich selbst war es.«
Grace hörte mehrere gedämpfte Minuten wie erstarrt zu, während der Ritter ihr erzählte, was der Nekromant Dakarreth ihm in den Bädern unterhalb von Schloss Spardis enthüllt hatte: wie der Fahle König Dakarreth den Befehl gegeben hatte, in den Domänen Streit zu säen; wie Dakarreth sich in Beltans Träume gestohlen und den Ritter dazu gebracht hatte, ein Messer zu nehmen und es seinem Vater in den Rücken zu stoßen; wie der Nekromant, als er Beltans alte Wunde erneut aufgerissen hatte, ihn diesen schrecklichen Augenblick in seinen Erinnerungen noch einmal durchleben ließ.
Der Ritter schwieg, und Grace fand die Kraft, ihre andere Hand auf die seine zu legen. »O Beltan …«
Er schüttelte den Kopf. »Mach dir keine Sorgen, Grace. Ich weiß, dass es nicht meine Schuld war. Ich war bloß ein Schwert in Dakarreths Hand; er war der Mörder, nicht ich. Und kein Mann hätte dem Nekromanten widerstehen können, nicht einmal Falken. Schließlich hat er vor langer Zeit etwas mit Falkens Hand gemacht. Nun, das hat er mir angetan. Aber ich werde Dakarreth nicht gewinnen lassen, nicht nachdem Travis alles aufgegeben hat, um ihn zu besiegen.«
Trotz ihrer Betroffenheit musste Grace lächeln. Wieso auch nicht? Beltan hatte jeden Grund zur Wut, zur Verzweiflung oder zum Wahnsinn. Stattdessen hatte er das Leben und die Liebe gewählt.
Der Ritter zog die Hand weg und wischte sanft eine Träne von ihrer Wange. »Du solltest lieber damit aufhören, Grace. Der Bibliothekar wird dich rausschmeißen, wenn du eines seiner Bücher nass machst. Du hast doch den Aufstand gesehen, den er gemacht hat, als ich diese Flasche Wein mitgebracht habe. Komm, lass uns noch ein paar Bücher holen, damit wir weiterarbeiten können.«
Der Ritter lud sich einen Arm voll Bücher auf und ging in die Bibliothek hinein. Grace holte tief Luft, dann stand sie auf und drehte sich um.
Und blickte in goldene Augen.
Eine Frau trat aus dem Schatten zwischen zwei Bücherregalen in einen Strahl honiggelben Lichts. Wie immer trug sie eng anliegendes schwarzes Leder, und ihr dunkles Haar war von dem betörenden Oval ihres Gesichts streng zurückgekämmt.
»Vani«, stieß Grace leise hervor. »Wie lange bist du da?«
»Nicht … lange.«
Grace musterte die Frau aus dem Volk der Mouraisch. Sie wusste, dass Vani eine Prinzessin war, die von dem königlichen Geschlecht der alten Stadt Morindu der Finsteren abstammte. Außerdem war sie eine T’gol – eine Meuchelmörderin, die seit frühester Kindheit in der Kunst des Tötens ausgebildet worden war.
»Du hast alles gehört, nicht wahr?«, sagte Grace.
»Das habe ich.«
Grace befeuchtete sich die Lippen. »Du musst das verstehen, Vani. Es war nicht seine Schuld. Nur weil er …«
Vani hielt eine Hand hoch. »Ich werde wegen seiner Tat nicht über ihn urteilen. Das ist nicht meine Angelegenheit.«
Grace zuckte innerlich zusammen. Vani liebte Travis – genau wie Beltan. Wenn auch aus anderen Gründen. Für den Ritter war es eine Sache des Herzens. Für Vani war es eine Sache des Schicksals. Und beide hatten sie ihn verloren.
Eine Last schien sich auf Grace zu senken. Sie wandte sich ab. »Beltan ist ein guter Mann, Vani.«
»Ich weiß.«
Sie schwiegen einen Augenblick lang.
Schließlich sagte Vani: »Die Mournisch werden Tarras bald verlassen. Für gewöhnlich reisen sie zu dieser Jahreszeit weiter nach Süden, zu den Städten südlich von Tarras.«
Grace drehte sich überrascht wieder zu ihr hin. »Gehst du mit
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