Die letzte Rune 08 - Das Schwert von Malachor
zerzauste Hund zu ihr aufschaute und sie sah, dass es gar kein Hund war, sondern ein Mann. Sein Haar war schlammverkrustet, und er lächelte sie an und entblößte Zähne, die spitz zugefeilt waren. Unter dem Dreck konnte sie die wirbelförmigen Tätowierungen ausmachen, die seine Arme, den Hals und sogar sein Gesicht bedeckten.
»Das ist einer von Kels Tiermännern«, sagte Falken als Antwort auf ihre unausgesprochene Frage. »Sie leben in dem abgelegenen Hochland der Fal Erenn. Die meisten von ihnen meiden die Zivilisation und bleiben unter sich, aber Kel weiß mit ihnen umzugehen.«
Der König zog etwas aus der Tasche, das wie ein Stück sehniges Trockenfleisch aussah. Er warf es zu Boden, und der Tiermann schnappte danach und huschte dann zur Seite, um darauf herumzukauen.
»Das sehe ich«, meinte Grace trocken.
Alle Mitglieder von Kels kunterbunter Truppe waren aufgewacht und kamen taumelnd auf die Füße. Die meisten waren rau aussehende Krieger so wie die, die die schwarzen Ritter besiegt hatten, aber es gab noch einen Tiermann sowie mehrere vollbusige Frauen mit schmutzigen Haaren, einem dreisten Lächeln und rosigen Wangen. Grace hatte das Gefühl, dass keine von ihnen etwas gegen die Bezeichnung Dirne einzuwenden gehabt hätte. Im Gegenteil, danach zu urteilen, dass sich keine von ihnen die Mühe gemacht hatte, die Oberteile ihrer schmutzigen Kleider zuzuschnüren, schien das genau das Aussehen zu sein, das sie anstrebten.
Die Atmosphäre um das Feuer war lebhaft und ungestüm, wie bei einem Gelage. Jubel ertönte, als Kel befahl, den zuvor genannten Beerenschnaps zu holen. Hände zogen Grace auf den Boden in die Nähe des Feuers, jemand drückte ihr einen Holzbecher in die Hand. Sie trank, dann hätte sie die Flüssigkeit beinahe sofort wieder ausgehustet; sie schmeckte so ähnlich wie außerordentlich schlechter Gin. Aber jemand klopfte ihr herzlich auf den Rücken, und sie würgte sie herunter.
Sofort stieg Wärme in ihr auf. Falken und Beltan nahmen dankbar Becher mit dem primitiven, aber effektiven Schnaps entgegen, und selbst Vani verweigerte das Angebot ihres Gastgebers nicht. Nach einem misstrauischen Schnüffeln kippte die T’gol die Flüssigkeit mit einem Schluck herunter, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, was um das Feuer herum zustimmendes Gejohle auslöste.
Grace starrte in die Flammen und sah zu, wie das Holz in Asche verwandelt wurde. Ob in Meerwacht alles auf ähnliche Weise verschlungen worden war? Sie dachte daran, wie sich Elwarrds Lippen auf den ihren angefühlt hatten. Ein Teil von ihr wollte verzweifelt glauben, dass der Graf noch am Leben war; trotzdem wusste sie, dass dem nicht so war. Er war zurückgeblieben, damit sie fliehen konnten – die erste und letzte edle Tat in seinem Leben.
Und was hat er davon gehabt, Grace? Seine Mutter war verrückt, aber auf ihre Weise wollte sie ihm helfen, ihn beschützen. Stattdessen hast du ihn umgebracht.
Aber das stimmte nicht. Grace vermochte nicht zu sagen, ob sie Elwarrd geliebt hatte – sie war sich nicht einmal sicher, ob sie dazu überhaupt in der Lage war. Aber er hatte Gefühle zum Leben erweckt, die sie vor langer Zeit für gestorben und begraben gehalten hatte. Und im Gegenzug hatte sie ihm einen Weg aus den Schatten verschafft, wo zuvor keiner gewesen war. Ganz egal, was auch geschehen war, sie würde nicht zulassen, dass sie es bedauerte, Lord Elwarrd von Meerwacht kennen gelernt zu haben.
Zwischen Falken und Beltan sitzend hörte sie zu, wie Kel seinen Untertanen auf großspurige und zweideutige Weise erzählte, was geschehen war, seit sie ihn das letzte Mal gesehen hatten. Aus Rücksicht auf die Neuankömmlinge berichtete er auch, wieso er sich in diesem Teil der Welt aufhielt, denn der König und seine Leute waren weit von ihrem Zuhause entfernt.
Grace konnte sich vom Rat der Könige dunkel an Kels Namen erinnern. Soweit sie wusste, beherrschte er keine Domäne, darum hatte man ihn auch nicht zu dem Rat eingeladen. Die anderen Herrscher hatten von ihm als einem Emporkömmling gesprochen, was bedeutete, dass er gar kein echter Adliger war, sondern ein selbst ernannter Monarch, der über eine kleine Gruppe von Menschen herrschte. Eher etwas wie ein Kriegsherr. Aber als Grace jetzt den riesigen Bären von einem Mann betrachtete, fiel es ihr schwer, ihn als Emporkömmling zu bezeichnen.
Kel hatte Kelcior beherrscht, das, soweit Grace verstand, eine alte Festung nördlich von Eredane war, auf den westlichen
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