Die letzte Rune 08 - Das Schwert von Malachor
es zu Boden, dann gingen sie durch das Tor in die Stadt.
Sie fanden sich auf einer leeren Hauptstraße wieder. Sie wurde von rechteckigen Häusern gesäumt, von denen jedes aus einem einzelnen Felsblock gehauen war; die Wände waren dick, die Fenster schmal und die Türen niedrig, so konstruiert, dass sie ein Minimum an kalter Luft hereinließen. Aber von den Fensterläden und Türen, die die Öffnungen einst versperrt hatten, waren nur noch Berge von Splittern übrig. Beltan warf einen Blick in ein paar der Häuser und kam kopfschüttelnd zurück. Leer.
Sie gingen weiter, vorbei an weiteren leeren Häusern, stummen Türmen und einsamen Plätzen. Grace schaute in ein paar Fenster und entdeckte Eisentöpfe, die noch immer an ihren Ketten über Öfen hingen, da waren angelaufene Silbertassen auf Steinregalen, sorgfältig aufgereiht wie Erbstücke. Wo auch immer die Bewohner der Stadt geblieben waren, ihren Besitz hatten sie nicht mitgenommen.
Sie kamen zu einer Quelle, deren sprudelndes Wasser gefroren war und eine fantastische Eisskulptur geschaffen hatte. Sie sahen noch immer keine Anzeichen von Menschen oder Tieren, nicht mal Knochen. Die Stadt war mehr als tot; es hatte den Anschein, als wäre sie nie lebendig gewesen.
»Was ist mit diesem Ort passiert?«, sagte Grace und wagte, die Stille zu brechen. »War es ein Krieg?«
Beltan schüttelte den Kopf. »Das war kein Krieg. Selbst wenn er vor langer Zeit stattgefunden hätte, würde es noch immer Anzeichen davon geben. Dinge wären verbrannt, zerstört. Es gäbe Knochen, vielleicht sogar Leichen.«
»Aber alles ist aus Stein«, sagte Falken. »Der würde nicht brennen. Und im Laufe der Zeit könnten Tiere die Knochen weggeschleppt haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass diese Stadt ohne Kampf fiel. Es heißt, einst waren hier tausend Wulgrim, und mit Sicherheit war kein Kämpfer in der Geschichte so stark oder wild wie die Wolfskrieger von Toringarth.«
Vani verschränkte die Arme. »Nein. Beltan hat Recht. Was auch immer hier geschehen ist, es geschah ohne Blut. Ohne Feuer. Diese Stadt ist keines gewaltsamen Todes gestorben.«
Grace biss die Zähne zusammen, um sie am Klappern zu hindern. Irgendwie waren Vanis Worte beunruhigender als die Vorstellung eines Krieges. Eine Stadt konnte erobert werden, ihre Bewohner getötet; das konnte sich Grace vorstellen. Aber wie konnte die Bevölkerung einer ganzen Stadt spurlos verschwinden?
Sie kamen zu einer Kreuzung. Grace sah Sindar an. »In welche Richtung sollen wir gehen?«
Der Mann mit dem Silberhaar zuckte mit den Schultern. »Das Kleine Volk hat mir bloß gesagt, ich soll Euch folgen.«
»Das habe ich befürchtet«, seufzte Grace. »Falken, hast du eine Idee, wo wir das Schwert finden könnten?«
»Ich habe gestern noch einmal in das Buch gesehen.« Der Barde zog das schmale Bändchen unter dem Umhang hervor, das Grace in der Universitätsbibliothek von Tarras gefunden hatte – das Buch mit dem Titel Heidnische Magie des Nordens. Falken blätterte es durch, vorbei an der unmöglichen Botschaft, die nur Travis geschrieben haben konnte, bis er zu einem Absatz am Ende kam. Er las laut vor. »›Und so kam dieser Pilger zum Turm von Ur-Torin, und er war voller Freude, als er entdeckte, dass die Splitter des sagenhaften Fellring nicht verborgen lagerten, sondern in aller Öffentlichkeit zur Ansicht freilagen, so dass sich die Menschen an Lord Ulther erinnern konnten, der die berühmte Klinge als Letzter schwang und der der größte ihrer Könige war.‹«
Grace kaute auf der Unterlippe herum und versuchte, die Worte zu ergründen. »Was bedeutet das, Falken?«
»Ich bin mir da nicht ganz sicher.« Er ließ das Buch wieder unter dem Umhang verschwinden. »Aber der Verfasser, wer auch immer das war, begab sich zum Turm von Ur-Torin, nicht zur Stadt. Ich glaube, er meinte den Haupt-Turm.« Der Barde zeigte auf den großen, sperrigen Turm, der den Gipfel des Felsens krönte, aus dem man Ur-Torin herausgeschlagen hatte.
»Könnte man die Schwertteile seitdem an einen anderen Ort gebracht haben?«, fragte Beltan. »Vielleicht haben die Leute sie ja mitgenommen, als sie gegangen sind.«
»Wenn sie gegangen sind«, sagte Grace leise. Sie hatte die Worte nicht laut aussprechen wollen. Sie ergaben keinen Sinn; wenn die Bewohner nicht gegangen waren, wo steckten sie dann?
Vani ging die Straße hinauf, die zur Stadtmitte führte. Unterwegs fühlte Grace, wie ein Schrei in ihr aufstieg. Es fing als Unbehagen im
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