Die letzte Rune 10 - Der Runenbrecher
ruhte auf dem Griff seiner Pistole. »Kein Gast darf ohne Ausweis hinter die Bühne, Miss Windom. Das sollten Sie wissen.«
Jace holte Luft. Travis fragte sich, was sie sagen wollte. Bevor er es herausfinden konnte, eilte eine Frau mit einem Klemmbrett auf sie zu.
»Was ist hier los?« Ihr Haar rutschte aus dem engen Knoten, zu dem sie es gebunden hatte. »Es sind fünf Minuten bis zur Sendung. Der Backstage-Bereich muss von allen Leuten geräumt werden, die hier nichts zu tun haben.«
Jace war schneller als die anderen Beamten. »Dieser Mann ist ein weiterer Leidender.«
Die Augen der Frau leuchteten auf. »Das ist gut. Warum haben Sie das nicht gleich gesagt? Der kleine Junge mit den Krampfanfällen ist draußen. Seine Eltern wollten ihn doch ins Krankenhaus bringen, also fehlt uns einer.« Sie schnappte sich Travis' Arm und zerrte ihn mit.
»Einen Moment«, sagte der Beamte mit dem ausdruckslosen Blick. »Er hat keinen Ausweis.«
Die Frau starrte ihn finster an. »Ausweis? Mir reicht es, dass er ein Leiden hat.«
Sie führte Travis fort. Die beiden Beamten wollten folgen, aber Jace vertrat ihnen den Weg. Sie nickte Travis kaum merklich zu.
»An was leiden Sie denn nun?«
Travis drehte den Kopf und starrte die Frau an. Wovon redete sie da bloß?
Sie stöhnte auf. »Bitte, sagen Sie nicht, dass es Schwachsinn ist.« Sie blieb vor der Stuhlreihe stehen und sprach ganz langsam. »Was ist Ihr Leiden? Was soll Mister Carson heilen?«
Travis betrachtete die Menschen auf den Stühlen: verkrüppelt, dürr, schmerzgekrümmt. Endlich begriff er.
Die Frau sah ihn erwartungsvoll an. Was sollte er sagen? Ich kann zaubern – meine Magie tötet Menschen. Heilen Sie mich davon.
Stattdessen sagte er: »Ich leide an Dyslexie.«
Sie runzelte die Stirn, dann seufzte sie resigniert. »Nun, besser als nichts. Sind Sie sicher, dass Sie kein Epileptiker sind?«
»Tut mir Leid. Nur die Dyslexie.«
»Nun, Bettler können nicht wählerisch sein.« Sie zeigte auf den letzten freien Stuhl. »Setzen Sie sich dahin. Die Show beginnt mit einem Medley der Hoffnung, das der Chor singt. Während des Gesangs kommt Mister Carson zu ihnen und wird mit jedem von ihnen sprechen, um ihre Geschichte zu erfahren. Sie werden seine Fragen so schnell wie möglich beantworten, und kommen Sie nicht einmal auf die Idee, ihn um ein Autogramm zu bitten. Wenn der Programmpunkt mit der Heilung beginnt, komme ich zurück und führe Sie und die anderen Leidenden auf die Bühne, wo Mister Carson sie heilen wird.«
»Einfach so?«, fragte Travis.
Die Frau lächelte schmal. »Einfach so.« Sie kritzelte etwas auf ihr Klemmbrett und eilte dann los.
»Er kann Wunder wirken, wissen Sie.«
Travis wandte sich der Frau neben ihm zu. Ihre Augen waren rot gerändert, ihre Wangen waren eingefallen und voller Schatten.
»Was?«, fragte Travis.
Die Frau lächelte. Ihr Hals war so dünn, dass er sehen konnte, wie sich ihr Kehlkopf beim Sprechen bewegte. »Sage Carson. Ich habe ihm im Fernsehen dabei zugesehen. Er hat alle möglichen Leiden nur mit Handauflegen geheilt. Ich bin davon überzeugt, dass er auch Sie heilen wird.«
Travis wollte die Frage nicht stellen, tat es aber trotzdem. »Und was ist mit Ihnen?«
»Die Ärzte sagen, ich brauche eine Chemotherapie, aber ich habe gesehen, was eine Chemotherapie anrichtet. Sie müssen einen umbringen, um einen zu retten. Ich begebe mich lieber in Gottes Hand.« Sie schaute nach oben. »Ich weiß, dass er den Krebs wegnehmen wird. Meine Töchter brauchen mich.«
Wut stieg in Travis auf. Wie viele Menschen waren wegen solcher Lügen gestorben? Ein Tumor konnte nicht einfach mit einem Gebet und einem Wunsch entfernt werden. Aber eine Bestrahlung konnte ihn schrumpfen lassen, konnte ihn daran hindern, erneut zu wachsen. Der Trick bestand darin, die Dosis zu finden, die den Krebs tötete, ohne den Patienten zu töten.
Die Frau hatte die Augen jetzt geschlossen; sie summte leise ein Kirchenlied. Travis schaute auf seine Hände. Würde er eine Möglichkeit finden, Eldhs Krankheit zu entfernen, ohne dabei die ganze Welt zu zerstören? Er wusste es nicht, aber er würde nicht bloß einfach hier sitzen bleiben und beten, dass sich die Dinge irgendwie schon richten würden.
Auf der anderen Seite des Vorhangs donnerte der Applaus, dann fing ein triumphierender Chor an zu singen. Travis schaute auf. Der Chor war auf die Bühne gegangen; die Show hatte angefangen. An jedem Ende des Vorhangs stand ein Sicherheitsbeamter,
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