Die letzte Rune 11 - Das Blut der Wüste
lächelte, und der Ausdruck ließ einige der Falten in ihrem Gesicht verschwinden. »Mit sechs Monden sprach sie, und es war nicht bloß ein einzelnes Wort. Ich werde das nie vergessen. Ich wiegte sie im Arm, und sie sagte ›Lass mich runter, Mutter‹ und ich tat es, und sie ging zu einem Stein und hob ihn auf. Ich habe noch kein Kind gesehen, das so früh gehen oder sprechen konnte.«
»Ich habe sie gehört«, sagte Travis. »Als sie noch in deinem Schoß war. Das war in Imbrifale, nachdem du und Beltan durch das Nichts zwischen den Welten gereist seid, als ich die Rune des Feuers sprach, um dich zu wärmen. Um sie zu wärmen. Ich hörte ihre Stimme in meinem Bewusstsein. Sie war so leise, ich dachte, ich hätte mir das nur eingebildet, aber …«
»Das hast du nicht. Was hat sie zu dir gesagt?«
Staunen erfüllte Travis, genau wie damals. »Sie sagte ›Hallo, Vater‹.«
Beltans Augen leuchteten auf, und er ergriff Travis' Hand.
Da gab es so viel, das Travis wissen wollte, so viele Fragen, die gestellt werden wollten – wo sie gewesen waren, was sie gemacht hatten –, aber bevor er sprechen konnte, griff Vani in ihren Lederanzug, holte einen kleinen Gegenstand hervor und stellte ihn auf den Tisch. Es war ein Tetrahedron aus perfektem schwarzem Stein.
»Das Tor-Artefakt«, sagte Beltan, beugte sich darüber, berührte das Onyx-Tetrahedron aber nicht. »So bist du also zur Erde gekommen.«
»Mein Volk hat es die vergangenen drei Jahre aufbewahrt«, sagte Vani. »Ich gab es ihnen, als sie nach Burg Todesfaust kamen.«
»Bevor du gegangen bist«, sagte Travis. Die Worte klangen grober, als er beabsichtigt hatte, aber das war ihm egal.
»Ja«, sagte Vani. »Bevor ich gegangen bin. Vor ein paar Wochen habe ich sie besucht und gefragt, ob ich es zurückhaben könnte. Ich fand sie im tiefen Süden von Falengarth.«
Beltan nahm die Kaffeekanne und schenkte nach. »Waren Sareth und Lirith bei den Mournisch?«
»Ich fürchte, ich habe sie verpasst. Mein Bruder ist eine Woche vor meiner Ankunft mit dem Schiff über das Sommermeer nach Moringarth gereist, und Lirith ist mit ihrem Sohn Taneth nach Norden gezogen, um Aryn auf Calavere zu besuchen.«
Travis musste trotz allem unwillkürlich lächeln. Also waren Lirith und Sareth jetzt Eltern. Plötzlich überkam ihn der Wunsch, alle wiederzusehen, die sie auf Eldh zurückgelassen hatten. Aber das war unmöglich, oder? Noch während er das dachte, schoben sich seine Finger auf das Fragment des Tor-Artefakts zu; er riss die Hand zurück.
»Warum hast du dein Volk besuchen müssen, um das Tor zu holen?«, fragte Beltan.
»Aus dem gleichen Grund, aus dem ich euch vor drei Jahren verlassen musste und nicht zurückkehren konnte.«
Travis holte tief Luft. »Und was für ein Grund ist das?«
»Ich bin auf der Flucht vor den Scirathi.«
Sie hörten verblüfft zu, als sie mit kurzen, aber lebhaften Worten beschrieb, warum sie Burg Todesfaust an diesem Tag vor drei Jahren verlassen hatte und wo sie seitdem gewesen war.
Sie hatte nicht gewusst, dass die Zauberer von Scirath hinter ihr her waren, zumindest nicht von Anfang an. Nachdem sie Burg Todesfaust verlassen hatte, war sie nach Süden gereist, war über das Sommermeer nach Al-Amún gesegelt, um dort Orakel und Seher zu besuchen und das Schicksal zu begreifen, das ihre Al-Mama für sie in den Karten gesehen hatte.
Deine Tochter ist noch nicht geboren, hatte die alte Frau zu Vani gesagt, aber schon jetzt weben sich mächtige Schicksalslinien um sie. Du kannst nicht wagen, hier zu bleiben, denn sonst wirst du in diesem Netz gefangen.
In Moringarth hatten die Scirathi sie das erste Mal angegriffen. Mehrere der mit goldenen Masken versehenen Zauberer hatten die Herberge umstellt, in der sie abgestiegen war. Da war sie schon hochschwanger gewesen, und sie hätte unmöglich gegen sie kämpfen können, aber sie hatten ihr nichts antun wollen. Sie wollten sie nur gefangen nehmen, sie an der Flucht hindern. Einer schnitt sich und begann mit einem Bindezauber. Aber Vani hatte es geschafft, ihm das Messer abzunehmen und tiefer zu schneiden, so dass mehr Blut als beabsichtigt floss. Viele Geister antworteten auf seinen Zauber, und sie saugten ihn aus. Die anderen Zauberer waren gezwungen, ihre eigenen Zauber zu weben, um die gierigen Morndari unter Kontrolle zu bekommen. In der Verwirrung konnte Vani fliehen.
Danach passte sie auf, und sie konnten sie nicht noch einmal überraschen. Aber sie war gezwungen gewesen, immer
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