Die letzte Rune 12 - Die letzte Schlacht
hineingeschlichen hatte.
Die meisten Kutschen ratterten vorbei, aber wenn ich lange genug wartete, hielt eine von ihnen an, und eine Lady stieg aus. Manchmal waren sie jung und schön, in mit Schleifen verzierte Gewänder gekleidet, manchmal älter und mütterlicher. Aber ganz egal, wenn ich dann mit traurigem Blick zu ihnen hochschaute, schnalzten die Damen mit der Zunge und bemitleideten mich. Sie murmelten, noch nie so goldenes Haar gesehen zu haben, und dass ich das Gesicht eines Engels hätte und dass Gott bestimmt dieses arme, elendige Waisenkind gesegnet hatte.
Es dauerte nie lange, bis ein Mann aus der Kutsche sprang – manchmal ihr Ehemann, manchmal auch ein Diener – und hinter der Lady herrannte und sie sanft, aber nachdrücklich von mir wegzog. Die Lady protestierte, der Mann warf mir einen wütenden Blick zu, dann zog er ein paar Münzen aus dem Geldbeutel und warf sie mir vor die Füße und befahl mir grob, zu verschwinden. Das musste man mir nie zweimal sagen; ich hob das Geld auf und rannte.
Die Männer hatten rote Gesichter und harte Augen – ich hatte nicht die geringsten Probleme, ihr Geld zu nehmen –, aber ich mochte die Damen, vor allem die Jüngeren. Sie rochen wie Blumen, ihre Stimmen waren so sanft wie das Gurren von Tauben. Mir gefiel, dass sie sich vorstellen konnten, dass Gott mich gesegnet hatte, auch wenn ich wusste, dass das nicht stimmte.
»Es ist der Teufel in dir, Jimmie, nicht unser Herr, so viel steht fest«, sagte Diakon Moody genauso oft zu mir, wie die hübschen Damen das Gegenteil behaupteten, und mit größerer Überzeugung in der Stimme.
Diakon Moody war fast jeden Tag am Grassmarket, ob es schönes Wetter war oder nicht. Der Saum seiner schwarzen Robe schleifte durch den Unrat; er predigte allen, die zuhörten, das Evangelium, und nahm sämtliche Almosen an, die er bekam – Geld, Essen oder vorzugsweise Bier. Niemand schien mit Sicherheit zu wissen, ob Moody einst ein richtiger Diakon gewesen war, aber ich hörte ein paarmal Gerüchte, dass er wirklich einer gewesen war, aber eine schreckliche Tat begangen hatte und vor Jahren aus der Kirche ausgestoßen worden war.
Wie nun auch die Wahrheit aussah, die Menschen, die auf Edinburghs Straße lebten – und in den dunklen Katakomben darunter – kamen oft zu Diakon Moody und baten ihn, den Ritus der Eheschließung zu vollziehen oder ein Neugeborenes zu taufen oder die Beichte abzunehmen, wenn der Bedürftige den Tod nahen fürchtete, denn Leuten wie ihnen blieben die Türen der Kirchen verschlossen. Moody bat auch nie um eine Entschädigung für diese Handlungen, so sehr er auch anderweitig nach milden Gaben suchte, und das ließ mich glauben, dass die Geschichten über ihn der Wahrheit entsprachen.
»Wohin willst du, Junge?«, fragte Diakon Moody an einem Herbstabend, als er mich dabei erwischte, wie ich über den Grassmarket lief. Seit fast vier Jahren hatte ich am Tag auf den Straßen der Stadt gelebt und war in der Nacht auf dem Friedhof Greyfriars gestorben.
»Nirgendwo«, sagte ich.
Das war durchaus die Wahrheit. Ich hatte kein Ziel im Sinn, zu dem ich wollte, sondern lief von etwas fort: einer Treppe, die den Grassmarket mit der High Street verband, wo ich gerade einem Mann den Geldbeutel gestohlen hatte. Für gewöhnlich ließ ich mich nie zu solch dreistem Diebstahl hinreißen, aber der Geldbeutel war voll und schwer gewesen und hatte einer reifen Frucht gleich vom Gürtel des Mannes gebaumelt.
»Wenn du nirgendwo hingehst, dann hast du auch Zeit, einen Moment mit mir zu plaudern«, sagte Moody; seine Stimme und sein Atem verrieten, dass er viel getrunken hatte. Nebel setzte sich auf seine schwarze Robe und befeuchtete sein graues Haar. »Nun sag mir, Junge, hast du weiter über dein Seelenheil nachgedacht?«
Ich grinste ihn frech an. »Ich schlafe in einer Gruft, Diakon, das wisst Ihr. Also könnt Ihr mich nicht erretten, da ich bereits tot bin.«
Der Ausdruck des Diakons, zuvor jovial, wurde grimmig. »Nein, das bist du nicht, Junge«, sagte er und legte eine harte Hand auf meine Schulter. Er schaute sich auf dem Grassmarket um. »Auf diesen Straßen gibt es viele, die wahrlich tot sind. Sie gehen und essen und atmen weiter, aber sie haben vergessen, wie es ist, lebendig zu sein, und ihre Herzen sind so kalt wie Eisen geworden. Sie interessieren sich nur für harte Dinge, wie das Gewicht des Goldes in ihren Taschen oder das Gefühl einer Pistole in ihrer Hand. Sie sind jenseits der göttlichen
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