Die letzte Rune 12 - Die letzte Schlacht
mit den okkulten Künsten auf, mittlerweile irgendwo in der Mitte, aber meine Blicke schweiften wie immer ans Ende.
Jahre vergingen, und auch wenn ich glücklich und zufrieden war, während ich größer und breiter und der Flaum auf meinem Kinn und den Wangen zu einem kurzen Bart heranwuchs, der so dicht und golden wie mein Haar war, legte sich dennoch ein Schatten auf Madstone Hall.
Zuerst war der Schatten kaum merklich, wie eine flüchtige Wolke, die das Licht eines langen Junitages dämpfte und das unweigerlich folgende kühle, purpurne Zwielicht andeutete. Manchmal bog ich um die Ecke und entdeckte den Master, wie er an einem Stuhl oder einer Balustrade lehnte, eine Hand auf die Brust gepresst, das Gesicht verkniffen. Wenn er mich dann sah, lächelte er, und dieses seltene Geschenk vertrieb alle dunklen Gedanken.
An meinem achtzehnten Geburtstag gingen wir gemeinsam zu einem der Menhire im Moor und legten wie die einfachen Leute unsere Gabe aus Brot und Wein dort nieder. Er nahm mich beim Arm, als wir den Hügel hinaufstiegen, und ich war überrascht, wie dünn sich seine Finger anfühlten und wie heiß, aber wieder fiel es leicht, diese Dinge zu vergessen, als er sich gegen den Stein lehnte und mit seiner tiefen Stimme von alten Göttern sprach, die seit langer Zeit vergessen waren.
»Wo sind die Götter hingegangen?«, fragte ich und drückte meine Handfläche auf den verwitterten Stein.
»Das weiß nicht einmal ich, Marius. Vielleicht sind sie in die Welt zurückgekehrt, aus der sie kamen.«
Trotz des warmen Mittsommerabends verursachten diese Worte bei mir einen Schauder. »Welche Welt meint Ihr?«
Er seufzte. »Vielleicht existieren sie auch nicht mehr.«
»Aber ein Gott kann nicht sterben«, sagte ich.
Er schaute auf seine Hände. »Selbst Götter können sterben, Marius, wenn sie alt genug sind und müde von der Last der langen Jahre.«
Das war das erste Mal, dass mir auffiel, wie sich in seinen hohlen Wangen Schatten sammelten. Aber das war nur das nachlassende Licht, sagte ich mir, und wir gingen wieder nach unten und sprachen von erfreulicheren Dingen.
Aber wenn der Schatten im Sommer leicht abzutun gewesen war, konnte man ihn im schwachen blauen Licht des Winters viel schwerer ignorieren. Der Master fror ständig, und Pietro befahl den Dienern, in jedem Kamin des Herrenhauses ein loderndes Feuer zu schüren, so dass wir alle Jacken und Westen auszogen und nur mit unseren Hemden bekleidet schwitzten. Aber der Master saß auf einem Stuhl und hielt mit dünnen Fingern eine Decke um sich fest. Wenn ich manchmal an der Bibliothek vorbeikam, konnte ich Pietro in drängendem Tonfall sprechen hören. Ich konnte nie verstehen, was er sagte, aber es war offensichtlich, dass der alte Diener den Master anflehte und dass der Master sich weigerte.
Eines Nachts, als ich nicht schlafen konnte, ging ich nach unten, um mir ein Glas Wein zu holen, und wieder hörte ich Stimmen, als ich die Halle durchquerte. Aber diesmal fiel ein gelber Lichtstreifen durch die Tür zur Bibliothek; sie stand ein Stück offen. Ich wusste, ich hätte weitergehen sollen, aber wie ein vom Licht angezogenes Insekt ging ich näher heran, bewegte mich lautlos über den mit Teppichen bedeckten Boden.
»Hast du es, Pietro?«, hörte ich den Master sagen, als ich näher kam. »Es tut mir Leid, dass ich dich darum bitten muss, aber ich habe nicht die Kraft, um selbst zu reiten.«
»Ja, ich habe es. Aber es wird Euch nicht viel helfen, Master.«
»Bring es mir, Pietro.«
Ich hörte ein seltsames, gedämpftes Schnauben, gefolgt von einem gedämpften Quieken, das fast an den Schrei eines Säuglings erinnerte. Es brach wie abgeschnitten ab und wurde vom gurgelnden Laut einer Flüssigkeit ersetzt, die in eine Metallschale floss.
»Gib es mir«, sagte der Master, und seine Stimme zitterte begierig, hungrig. Eine lange Pause trat ein, dann seufzte der Master, zugleich befriedigt und voller Abscheu. »Da, Pietro. Siehst du es? Jetzt geht es mir viel besser.«
Ich konnte mir Pietros besorgten Gesichtsausdruck gut vorstellen. »Ihr solltet nach Kreta zurückkehren, Master Albrecht. Es ist viele Jahre her, dass Ihr in Knossos gewesen seid. Ihr solltet noch in dieser Nacht aufbrechen. Dort wird man Euch heilen.«
»Mein guter Pietro, du bist dein ganzes Leben lang loyal zu mir gewesen, seit du ein kleiner Junge warst, und du hast nur wenig dafür bekommen. Du hast dich immer um mich gekümmert, und dafür danke ich dir. Aber du weißt nicht,
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