Die letzte Rune 12 - Die letzte Schlacht
richtete sich auf mich. »Doch am Ende werden solche Leute die gleiche Last tragen müssen.«
Diese Worte ließen mich frösteln, obwohl ich sie nicht verstand. Oder doch?
»Du weißt etwas«, sagte ich und trat näher an sie heran. »Darum kannst du hier auch helfen. Sag mir bitte, was mit ihr nicht stimmt.«
»Mit ihr ist alles in Ordnung. Es ist die Welt, die nicht stimmt. Diese Welt. Sie schadet ihr, wie sie allen wie ihr schadet. Am Ende wird es zu viel sein. Man kann es nicht besiegen.«
Diese Worte waren wie ein Messerstich in mein Herz. Schließlich konnte ich wieder sprechen. »Am ersten Tag am Tor, da hast du gesagt, sie zieht die Sonne vor. Aber ich habe sie im Nebel gefunden.«
»Zieht sie vor, ja. Aber erträgt sie sie auch? Nicht gut, fürchte ich. Überhaupt nicht gut. Sie verbrennt sie, die Sonne dieser Welt. Sie ist wie ein im Nachtnebel geborener Schemen, der im Licht der Morgendämmerung nur verblassen kann.«
Übelkeit stieg in mir auf. Ich hatte sie mit nach draußen genommen, weil es ein schöner Tag war. Was für ein Narr war ich doch gewesen! Was für ein elender Narr. Trotz meiner Erregung verspürte ich einen Funken der Neugier, und zum ersten Mal seit vielen Tagen erinnerte ich mich daran, dass ich ein Sucher war. Wer war diese alte Frau? Woher wusste sie diese Dinge?
»Ich muss Miss Faradays Tee zubereiten«, sagte Sadie, und bevor ich etwas sagen konnte, drehte sie sich um und verschwand durch die Tür.
Alis ruhte bald. Ich verabschiedete mich, und sie war zu müde, um zu protestieren. Als ich am nächsten Morgen kam, saß sie in ihrem Bett, und am Tag darauf fand ich sie auf einem Stuhl im Saal in eine Decke gewickelt vor. Sie wurde wieder kräftiger, selbst als das Wetter kalt und düster wurde und der Märzregen kam.
Aber die ganze Zeit konnte ich Sadies Worte nicht vergessen. Wusste sie etwas von Alis' wahrer Natur? Ich hatte keine Gelegenheit mehr gefunden, mit der alten Dienerin zu sprechen, trotzdem war ich mir dessen sicher.
Diese Welt. Sie schadet ihr, wie sie allen wie ihr schadet …
Gab es in London noch andere wie Alis? Wenn dem so war, vielleicht würden sie wissen, wie man ihr helfen konnte.
Ich schmiedete einen Plan. Ich wusste, dass mein Vorhaben ein glatter Verstoß gegen die Desiderate war, aber das war mir so gut wie egal. Sollten die Sucher zur Hölle fahren und die Philosophen mit ihnen. Alis war kein Gegenstand, den man beobachten konnte, ein Insekt, das man in einem Glaskrug gefangen hatte und beobachtete, während es starb. Ich würde andere wie sie finden, und ich würde sie dazu bringen, ihr zu helfen.
Aber ich sagte davon natürlich kein Wort zu Alis, nicht einmal, als ich mit meiner Suche begann; ich gab ihr keinen Hinweis, der ihr möglicherweise meine wahre Natur enthüllte. War das noch eine Konzession an die Sucher? Vielleicht wollte ich sie auch nur vor Wissen schützen, das ihre bereits angegriffene Gesundheit nur noch weiter schwächen würde.
Nicht einmal ich kannte den Grund, denn zu diesem Zeitpunkt hatte mich ein Wahnsinn übermannt. Ich konnte nicht essen, ich konnte nicht schlafen. Ich konnte nur noch an Alis denken und nach jenen suchen, die wie sie waren, die, die ihr helfen konnten.
Ich verbrachte die Tage mit Alis wie zuvor, aber nachts begab ich mich in die Gewölbe unter dem Stiftungshaus der Sucher, als wäre ich wieder zum Ghul geworden – genau wie in Edinburgh als Junge, wo ich in der Familiengruft der Gilroys geschlafen hatte. Aber ich betrat diese Gewölbe nicht, um dort zu ruhen, sondern um zu arbeiten, und das tat ich fieberhaft, brütete über alten Büchern, kramte in Stapeln alter knisternder Pergamente herum, deren Wörter selbst im Licht Dutzender Kerzen kaum zu entziffern waren. Als Meister hatte ich unbeschränkten Zugang zur Bibliothek der Sucher; sicherlich würde ich dort ein paar Antworten finden. Schließlich hatten die Philosophen etwas über jene von Elfenherkunft wissen müssen, denn sonst hätten sie mir nie den Auftrag erteilt, Alis zu beobachten.
Und ich hatte Recht. Nach vielen Nächten der Suche stieß ich auf einen Brief. Er war an die Philosophen adressiert, trug allerdings keine Unterschrift. Aber zweifellos hatten sie gewusst, wo er herstammte, und die darin enthaltene Information faszinierte mich und ließ mich zugleich frösteln.
Der Brief berichtete von einer Schenke – gab aber weder den Namen noch die Adresse an – und beschrieb sie als einen Ort, an dem sich oft solche von
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