Die letzte Rune 12 - Die letzte Schlacht
›äußerst eigentümlicher und unirdischer Abstammung‹ im Geheimen versammelten. Der Verfasser erwähnte nicht, wieso er von diesem Ort wusste, aber als ich weiterlas, wurde ersichtlich, dass das Publikum dieser Schenke genau wie Alis war: Menschen, in deren Adern Elfenblut floss.
Die Kürze des Briefes ließ mich aus der Haut fahren, aber nach vielen Nächten der Suche entdeckte ich in einer Ecke einen vergessenen Kasten, und darin befanden sich noch viele derartige Briefe, die alle nicht unterzeichnet, aber in derselben Handschrift wie der erste verfasst waren. Ich las sie alle, und als die Kerzen zu Stummeln heruntergebrannt waren, wusste ich nicht alles, was ich wissen wollte, trotzdem war es einiges.
Auf dieser schlichten Erde ein Elf zu sein, stellte eine Qual dar, die nicht lange zu ertragen war; ein so ätherisches Wesen würde hier schnell zugrunde gehen. Wer etwas von einem Elfen in sich trug, wurde ebenfalls mit diesem Leiden geboren, wenn auch in geringerem Ausmaß. Das Leben auf dieser Welt war oftmals qualvoll für eine solche Person, wenn auch nicht immer tödlich, und die Besucher der Schenke hatten verschiedene Medizin gefunden, die ihre Beschwerden linderte.
Das war es, das war das Wissen, das ich benötigte, trotzdem enttäuschten mich die fehlenden Einzelheiten des anonymen Autors, was den Namen und die Adresse dieser Schenke anging. Der letzte Brief fing in meinen Händen an zu schimmern, als ihn ein goldener Lichtstrahl traf. Ich schaute zum Fenster hoch oben in der Gewölbewand; das Licht der Morgendämmerung ließ es leuchten. Ein neuer Tag war angebrochen, und er brachte neue Hoffnung. Ich ließ die Briefe wieder in ihrem Versteck verschwinden, dann stieg ich die Steinstufen hinauf, die aus den Gewölben zurück in die Welt der Lebenden führten.
»Hallo, Marius«, sagte Byron. Er saß im Saal des Stiftungshauses, ein Buch und eine Tasse Tee vor sich auf dem Tisch. »Lange Nacht in der Schenke? Vergebt mir, wenn ich das sage, aber Ihr seht völlig fertig aus.«
Ich führte eine Hand zur Schläfe und bemerkte erst jetzt, wie sie dröhnte. In letzter Zeit hatte ich öfters Kopfschmerzen. Aber das kam nur von den langen Nächten der Nachforschungen, und warum sollte ich mich überhaupt beklagen? Der Schmerz war nichts im Vergleich zu dem, was Alis erlitt.
»Ich muss gehen«, sagte ich.
»Unsinn, Marius.« Byron schob das Buch weg. »Kommt, setzt Euch zu mir und trinkt eine Tasse. Das wird Euch gut tun.«
Ich schüttelte den Kopf. »Ich habe Dinge zu … Ich muss gehen.« Und bevor Byron noch weiter protestieren konnte, verließ ich das Stiftungshaus.
Ich hatte vor, Alis an diesem Abend alles zu erzählen – über mich und die Sucher und ihre eigene Natur. Aber ich tat es nicht. Sie war zu müde, und ich war auch müde von den vielen schlaflosen Nächten, die ich in den Gewölben der Sucher verbracht hatte. Ich sagte es ihr auch nicht am nächsten Morgen, auch nicht am übernächsten, ich schwieg, und jeden Tag wurde ihr Gesicht blasser, wenn auch liebenswerter.
An manchen Tagen war sie kräftiger als an anderen, und an den Iden des März, einem schönen Frühlingsnachmittag, begaben wir uns endlich zu Londons neuer Kathedrale, St. Paul's.
Das alte St. Paul's war nach mehreren Restaurierungsversuchen beim großen Brand von 1666 zerstört worden, und man hatte Christopher Wren mit dem Bau eines Ersatzes beauftragt. Allem Anschein nach musste Wren noch viel tun, denn die Kathedrale war alles andere als vollendet. Überall war der Boden aufgerissen, und große Teile des Baus bestanden aus kaum mehr als einem von Gerüsten umgebenen Steingerippe. Aber die Kuppel strebte, wenn auch noch nicht ganz verkleidet, dem Himmel entgegen.
»Ich glaube, von dort oben kann man die ganze Welt sehen«, sagte Alis mit leuchtenden Augen, als ich ihr aus der Kutsche half.
Ich lachte. »Vielleicht nicht die ganze Welt, aber sicherlich viel von London.«
»Nein, das kann nicht sein. Es ist viel zu erhaben, um einen so banalen Ausblick zu gestatten. Es wird einem die ganze Welt zeigen.« Sie schaute zur Kuppel hinauf. »Auch wenn ich das vermutlich niemals sehen werde.«
Ich verspürte plötzlich einen tiefen Ernst und nahm ihre Hand. »Doch, das werdet Ihr, Miss Faraday. Ihr werdet es mit den eigenen Augen sehen.«
Wir fanden den Mann, der an diesem Morgen die Bauarbeiten überwachte, und mit etwas Überredungskunst und einer beträchtlichen Spende erlaubte man uns eine Besichtigungstour durch
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