Die letzte Schoepfung
natürlich in die Rolle, die sie bei ihrem Sohn so oft ausgefüllt hatte. Ethan hingegen fühlte sich gar nicht wie ein Vater. Vor ein paar Stunden erst hatte es ihn gedrängt, einem anderen Mann das Leben zu nehmen.
Bei diesem Gedanken lächelte er bitter.
Er war nicht gerade das, was man einen guten Vater nennen konnte. Zwar hatte er Nicky bedingungslos geliebt, doch es war Sydney gewesen, die das Kind versorgt und ihm ein liebevolles Heim geschaffen hatte. Als Vater war Ethan ein Versager gewesen, fast immer auf Reisen zu Einsätzen in aller Welt und mit der Lösung anderer Leute Probleme beschäftigt, während er seine Familie allein und schutzlos zurückließ. Zwar hatte er sich eingeredet, eine bessere Welt für die Seinen zu schaffen, doch es war eine Lüge gewesen, ein Selbstbetrug: Seine Arbeit für die Firma hatte gar nichts geändert, hatte nur seine Familie auseinander gerissen und Sydney und ihm den Sohn geraubt.
So überließ er Danny und Callie ihrer Obhut und ging nach draußen. Es regnete noch immer, doch nach drei Jahren Leben in der Wüste konnte Ethan vom Regen und der frischen, kühlen Luft gar nicht genug bekommen. Er ging über einen kleinen Innenhof zum Swimming-Pool und setzte sich unter einen überdachten Tisch, um von dort das Zimmer im Auge zu behalten.
Die Begegnung mit Ramirez hatte ihn durcheinander gebracht.
Der Killer hatte Nachforschungen angestellt und Ethans Verdacht über gewisse Dinge bestätigt, darunter seine wachsende Überzeugung, dass die Firma in die Sache verwickelt war. Diese Insel war der Grund dafür gewesen, dass Ethans Team den Befehl erhalten hatte, Ramirez' Blockhütte zu stürmen und den Bewohner zu töten. Dies bestätigte nur, was Ethan bereits vermutet hatte: Irgendwas geschah auf dieser Insel – etwas, das die Firma unter allen Umständen geheim halten wollte, wobei sie sogar vor Mord nicht zurückschreckte.
Doch es blieb die Frage offen, wer von der Firma in diese obskure Geschichte verwickelt war.
Eigentlich, überlegte Ethan, hätte er Ramirez dankbar sein müssen, weil der ihm die fehlenden Teile des Puzzles geliefert hatte. Doch Dankbarkeit war nicht gerade das, was er für den Mörder seines Sohnes empfand. Stattdessen brodelte der Hass in ihm – zwar nicht mehr so heiß wie früher, doch Ethan spürte ihn immer noch. Und noch immer hatte er Angst, dass Ramirez es auf Sydney abgesehen hatte.
»Was jetzt?«, hatte er Ramirez gefragt, bevor er die Eiseskälte des Wagens verließ. »Ist Sydney nun vor dir sicher?«
Ramirez tat die Frage mit einer Handbewegung ab. »Sie interessiert mich nicht.«
»Wenn du mich anlügst…«
»Ich habe dir gesagt, was ich will. Antworten. Und wenn deine Frau oder die niños diese Antworten hätten, wärst du ja nicht hergekommen, um Mulligan aufzusuchen.« Mit kalten, harten Augen sah er Ethan an. »Meine und deine Antworten, amigo, sind auf dieser verfluchten Insel zu finden.«
Die Wahrheit war bitter, doch Ramirez hatte Recht…
Sydney kam aus dem Zimmer, und Ethan wurde aus seinen Gedanken gerissen. Ihre schlanke Gestalt verharrte einen Moment auf der Schwelle. Sie sah sehr jung und verletzlich aus, doch Ethan wusste, dass dieses Bild mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmte. Nur eine starke Frau hätte sich während der letzten beiden Tage so bewähren können wie Sydney. Und Ethan wusste, dass Sydney sogar noch mehr getan hatte: Sie hatte sich ihren Feinden gestellt.
»Wie geht es Callie?«, fragte er, als sie zu ihm kam.
»Sie schläft. Aber es geht ihr schlecht.« Sydney setzte sich ihm gegenüber. »Und sie ist schrecklich eigensinnig.«
»Wie ihr Bruder.«
»Sie ist gerade lange genug wach geworden, um mir zu sagen, dass sie nicht wirklich krank sei, nur müde.«
Ethan grinste. Was für ein Paar – die kleine, engelhafte Callie und ihr großer starker Bruder. Die Sorte Kinder, die ihre Eltern am einen Tag in den Wahnsinn treiben und am nächsten irgendetwas tun, dass man unglaublich stolz auf sie sein kann.
»Ich mache mir wirklich Sorgen um Callie.« Sydney beugte sich vor. »Gestern hat sie mir erzählt, dass die Ärzte auf Haven sie von den anderen Kindern fern gehalten haben, weil sie eine schwache Immunabwehr hat. Selbst wenn es mit einer harmlosen Erkältung oder Grippe anfängt – bei Callie kann es sich zu einer ernsten Sache entwickeln.« Ihre Züge verhärteten sich. »Aber ohne entsprechende Untersuchungen oder Geräte kann ich nichts Genaues sagen.«
»Was willst du denn
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