Die Letzte Spur
gelang ihr nicht, den Brief in das Buch zurückzustecken. Sie hielt ihn offen in der Hand. Marc stand vor ihr.
»Hier bist du«, sagte er unbefangen. »Ich habe es etwas früher geschafft, als ich dachte. Hör mal, wie hast du denn mein Auto geparkt? Da kommt ja kaum noch jemand vorbei!« Er schien nicht verärgert darüber, dass er sie in seinem Schlafzimmer antraf.
Sein Blick fiel auf den Brief.
»Ein Brief?«, fragte er stirnrunzelnd.
Sie hatte sich selten in ihrem Leben so geschämt. »Ich bin unmöglich, Marc. Eigentlich wollte ich nur deine Bücher ansehen, aber…«
Jetzt hatte er den Aufdruck des Vereins entziffert.
»Da hast du ja gleich einen Treffer gelandet«, meinte er.
5
Jeder Atemzug tat ihm weh. Aber wenigstens konnte er überhaupt wieder atmen. Seine letzte Erinnerung war die völlige Dunkelheit, in die er gefallen war, und als er wieder aufgewacht war, waren Ärzte und Schwestern um ihn gewesen, und er hatte an einem Beatmungsgerät gelegen. Einen schrecklichen Moment lang hatte er sich dem Tod näher als dem Leben gefühlt, weil er unfähig gewesen war, sich dem Gerät anzupassen, und entsetzt nach Luft rang, aber irgendwie hatte er schließlich den Rhythmus gefunden.
»Wir haben ihn wieder«, hatte jemand gesagt, und er hatte besorgte Gesichter über sich erkannt und Augen, die ihn eindringlich musterten.
»Schön atmen«, sagte eine Schwester, und er hätte ihr gern erklärt, wie weh das tat, aber er konnte nicht sprechen. Er vermutete, dass sie ihm irgendetwas Beruhigendes gespritzt hatten, denn nach kürzester Zeit schon waren ihm wieder die Augen zugefallen. Als er erneut erwachte, hing er nicht mehr an der Maschine, aber die Schmerzen quälten ihn fast noch heftiger als zuvor. Sicher bekam er Schmerzmittel. Alles wäre sonst noch schlimmer, wahrscheinlich unerträglich gewesen.
Ein Tag war vergangen und ein zweiter. Cedric hatte nie zuvor in seinem Leben in einem Krankenhaus gelegen, und er fand es schrecklich. Der Geruch. Der hässliche Linoleumboden. Die steife Bettwäsche. Das Essen. Aber am schlimmsten war einfach die Tatsache, bewegungsunfähig zu sein. Ausgeliefert. Hilflos.
»Sie haben eine sogenannte Serienfraktur erlitten«, hatte ihm der Arzt, ein grauhaariger und dennoch recht jugendlich wirkender Mann, erklärt, »vier direkt nebeneinanderliegende Rippen sind gebrochen. Das Gefährliche an derartigen Brüchen ist vor allem die Möglichkeit, dass innere Organe verletzt werden. Ihre Atmung setzte immer wieder aus, so dass wir schon fürchteten, die Lunge sei miteinbezogen und ein Flügel bereits kollabiert. Sie haben jedoch Glück gehabt. Weder die Lunge noch irgendein anderes Organ sind in Mitleidenschaft gezogen worden.«
»Warum konnte ich dann nicht atmen?«, fragte Cedric. Er entsann sich der qualvollen Atemnot in den letzten Minuten, ehe er bewusstlos geworden war.
»Das hat mit den Schmerzen zu tun«, sagte der Arzt, »und das ist bei derartigen Frakturen nicht selten der Fall. Das Atmen tut so weh, dass der Patient unwillkürlich gegen den Schmerz atmet, also versucht, Luft zu bekommen und dabei dem fast unerträglichen Schmerz auszuweichen. Das führt zu einer völligen Verkrampfung bis hin zu einer Blockade der Atmung. Es gibt Patienten, die danach das Atmen erst ganz langsam und umständlich wieder lernen müssen. Bei Ihnen ist alles sehr schnell gegangen.«
Wavers, du Arsch, hatte er gedacht, wenn ich dich noch einmal zwischen die Finger bekomme, kriegst du das alles zurück, das verspreche ich dir!
Auch sein Vater war erschienen. Mit einem erschrockenen, bekümmerten Gesicht, bemüht, seine Besorgnis nicht allzu deutlich werden zu lassen.
»Junge, Junge! Was machst du denn für Sachen?«
»Weißt du, was aus Pamela geworden ist, Dad?«, fragte Cedric. Er stellte fest, dass es gar nicht so einfach war, zu sprechen, ohne sich dabei zu bewegen. Denn jedes auch noch so geringe Zucken seines Körpers bezahlte er mit höllischen Stichen, die ihm durch und durch gingen.
»Pamela? Die Dame, die bei dir war? Soweit ich weiß, ist sie in London. Sie wird von der Polizei vernommen. Lieber Himmel, in welche Geschichte bist du denn da geraten? Rosanna hat mir erzählt, dass …«
Nach und nach hatte Cedric die Informationen bekommen, nach denen er suchte. Er hatte erfahren, dass Pamela Pit Wavers erschossen hatte. Dass sie ihn, Cedric, zur nächsten Polizeiwache gefahren hatte. Dass sie inzwischen bei Scotland Yard saß. Dass eigentlich alles gut
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