Die letzte Sünde: Kommissar Rosenthal ermittelt in Tel Aviv (German Edition)
was sie herausgefunden hatte: »Anscheinend leben die Eltern von Marina Koslovsky noch in der Ukraine, genauer gesagt in Kiew. Ihr Vater hat dort ein Unternehmen. Über die Mutter weiß ich nichts. Sie hat aber eine Oma in Israel, die in Tel Aviv wohnt. Klara Chajbi. Kannst dich gleich auf den Weg machen!«
»Chajbi? Wie kommt eine ukrainische Frau mit dem Vornamen Klara zu einem jemenitischen Nachnamen?«, fragte Assaf erstaunt.
»Das kann ich dir nicht sagen, aber die Frau wohnt sogar im Jemenitischen Viertel.« Zipi schaute auf ihr Blatt und las die Adresse vor: »Elyashiv 3, Kerem HaTeimanim.«
Assafs Blick fiel auf die Uhr. Es war kurz nach sechs. »Zipi. Toda toda toda. Du bist ein Schatz. Wie hast du das nur so schnell herausgefunden?«
»Ich habe eine Freundin im Einwanderungsministerium, da habe ich einfach nachgefragt.«
»Und die wusste, dass Marinas Vater eine Firma in der Ukraine hat?«
»Ja, er hat Marina verschiedene Bürgschaften ausgestellt, und außerdem war er, zumindest bis vor einigen Jahren, einer der großen Spender aus Osteuropa für die Jewish Agency.«
»Walla. Wieso bis vor einigen Jahren?«
»Das kann ich dir auch nicht sagen. Vielleicht hat er Geldprobleme bekommen und konnte es sich nicht mehr leisten, so großzügig zu sein.«
Assaf hatte sich schon immer gefragt, was das für Leute waren, die dafür spenden, dass möglichst viele Juden nach Israel auswandern. Die Jewish Agency sammelte das Geld, um Juden aus den wirtschaftlich stärkeren Ländern mit finanziellen Reizen oder aufwendigen Werbekampagnen zu locken und die ärmeren aus Ländern wie dem Jemen oder Irak kostenlos ausfliegen zu können. Nach Israel auszuwandern, Aliyah zu machen war die wichtigste Mitzwa, Gebot, für Juden weltweit. Er hatte jedoch vermutet, die Geldgeber seien fast ausnahmslos Amerikaner.
Der Kommissar notierte sich die Adresse von Klara Chajbi in sein Notizbuch. Kurze Zeit später saß er auf seinem Roller und fuhr Richtung Jemenitisches Viertel. Der Kerem HaTeimanim, wörtlich übersetzt »Weinberg der Jemeniten«, befand sich direkt neben dem großen Shuk, dem Karmelmarkt. Dieser lag nun, da alle Händler bereits Feierabend gemacht hatten, dunkel und ausgestorben da. Nur ein paar Ratten huschten durch die schmale Straße, die an beiden Seiten von Ständen mit geschlossenen Wellblech-Jalousien gesäumt wurde. Assaf fuhr mit dem Roller mittendurch, was tagsüber undenkbar wäre, da sich Hunderte Menschen durch den engen Gang quetschten, um Gemüse, Backwaren oder billige Judaica made in China zu kaufen. Er bog rechts in eine kleine, gepflegte Einbahnstraße ein. Die Nachbarschaft hatte sich in den letzten Jahren zu einem der schönsten Viertel Tel Avivs entwickelt. Viele der kleinen, mediterranen Häuschen wurden mittlerweile saniert, und regelmäßig eröffneten neue Restaurants in der Gegend. Trotzdem war das Viertel lange nicht so luxuriös wie der angrenzende Stadtteil Neve Zedek, in dem die Mieten mittlerweile ins Unermessliche gestiegen waren. Dafür mussteman im Jemenitischen Viertel damit leben, dass es noch einige zerfallene Häuser und Ungeziefer gab, das von den Marktabfällen angezogen wurde.
Assaf lenkte seinen Roller geschickt durch die schmalen Gassen, in denen obendrein noch Autos parkten. In einem gleichmäßigen Rhythmus fiel das Licht der Straßenlaternen auf die Fahrbahn und zeigte ein fast malerisches Bild des gutaussehenden Kommissars, wie er unter bedrohlich in der Luft schwingenden Stromkabeln an Rosenhecken und kleinen Ölbäumen vorbeiraste. Hier und da stand eine Katze am Wegrand und starrte gebannt in die Scheinwerfer des Motorrollers.
Schließlich fand Assaf das kleine Haus mit der Nummer drei in der Elyashiv Straße. Das zweistöckige Gebäude war leider eines der Exemplare, um das sich noch kein Architekt oder Bauunternehmer gekümmert hatte. Die Straßenlaterne vor dem Haus zeigte schonungslos den traurigen Zustand des Bauwerkes: Der Putz bröckelte an allen Ecken ab, und die Fassade, die einst vielleicht mal gelb oder orange gewesen war, konnte mittlerweile nur noch als aschgrau bezeichnet werden. Einzig die blaue Holztür hatte noch etwas Farbe zu bieten. Nur wenige Meter neben dem Haus mit der Nummer drei befand sich das nächste Gebäude. Auch dieses hatte die besten Jahre hinter sich und hätte einen Anstrich vertragen können. Am Straßenrand stand eine offene Mülltonne, aus der ein paar Katzen erfolgreich einen Müllbeutel gezerrt hatten, den sie nun auf
Weitere Kostenlose Bücher