Die letzte Sünde: Kommissar Rosenthal ermittelt in Tel Aviv (German Edition)
Typ, der eine Menge Stress gemacht hat. Dudu hat ihn irgendwann rausgeschmissen. Ich glaube, es ging um Geld. Der Alte konnte wohl nicht mehr zahlen.«
»Und wann war das?«, fragte Assaf gespannt.
»Na, letzte Woche. Ich hatte Dienst. Montag muss das gewesen sein.«
Assaf und Yossi bedankten sich bei der Frau und baten sie, ebenfalls das Bordell zu verlassen.
»Was passiert denn jetzt? Bleibt unser Laden geschlossen?«, fragte sie besorgt.
»Sagen wir es so«, antwortete Yossi freundlich, »wenn ich du wäre, würde ich mich nach einem anderen Arbeitsplatz umsehen.«
Assaf und Yossi instruierten einen der Kollegen, den Eingang zum Penthouse zu sichern, für den Fall, dass Dudus Schläger auftauchten. Dann machten die beiden Polizisten sich auf den Weg zur Beerdigung von Marina. Assaf hoffte, dass er dort einen Hinweis auf Joys Verbleib bekommen würde.
Der Kommissar gab Vollgas. Der Tachozeiger bewegte sich trotzdem nur ganz gemächlich. 120, 125, 130 – er fuhr fürisraelische Straßen sehr schnell. Sie hatten zudem die Sirene angeschaltet, aber es schien niemanden zu interessieren. Assaf überraschte das nicht. Schon oft hatte er beobachtet, wie Krankenwagen verzweifelt versuchten, die verstopften Straßen von Tel Aviv zu durchqueren. Nur langsam, widerwillig geradezu machten die Leute Platz, und auf der Autobahn fuhren die meisten einfach weiter, wenn sie die Sirene hörten.
Dank Assafs Fahrkünsten schafften sie es dennoch fast pünktlich zum Friedhof außerhalb von Tel Aviv. Der Kommissar kannte diesen Ort gut, daher lief er geradewegs zum Friedhofsgebäude, in dem die Toten gewaschen wurden und wo die Zeremonie normalerweise begann. Leise betraten die beiden Polizisten die Halle.
»Sieh auf drei Dinge, und du wirst nie fehlgehen im Leben: Wisse, woher du kommst und wohin du gehst und vor wem du einst wirst Rechenschaft ablegen müssen«, sprach der Rabbiner zu der kleinen Trauergemeinde. Ungefähr zwanzig Leute hatten sich in dem Gebäude versammelt. Assaf und Yossi setzten sich neben Zipi auf eine Holzbank in der letzten Reihe. Die Wand hinter ihnen war der Klagemauer nachempfunden und bestand aus klassischem Jerusalemstein. Im vorderen Teil, links an einem kleinen Fenster, stand ein länglicher Altar, ebenfalls aus Stein, auf dem die Tote nach der rituellen Waschung von der »Chewra Kadischa«, der jüdischen Beerdigungsgesellschaft, aufgebahrt worden war. Den Leichnam hatte man in weiße Totengewänder gewickelt. Davor stand der Rabbiner. Er trug einen großen schwarzen Hut, der fast sein gesamtes Gesicht verdeckte. Ein mittelblonder Hüne, den Assaf von den Fotosals Victor Koslovsky, Marinas Vater, erkannte, erhob sich schwerfällig und ging langsam auf den Altar zu. Der Rabbiner zeigte ihm den Text, den er sprechen musste. Das Kaddisch. Victor Koslovsky las mit brüchiger Stimme: »Erhoben und geheiligt werde sein großer Name in der Welt, die er nach seinem Willen erschaffen, und sein Reich entstehe, und es blühe auf seine Erlösung, und es nähere sich das Kommen seines Messias in eurem Leben und in euren Tagen und dem Leben des ganzen Hauses Israel schnell und in naher Zeit. Sprechet: Amen!«
»Amen«, wiederholte die Trauergemeinde.
Der Kommissar ließ seinen Blick über die Anwesenden schweifen. In der ersten Reihe hatte er schon beim Hereinkommen Klara entdeckt. Ein schwarzes Spitzentuch bedeckte ihren Kopf. Sie schluchzte leise. Neben ihr saßen ihr Sohn Victor und zwei weitere ältere Frauen, die Assaf nicht kannte. Vielleicht Schwestern von Klara. Dahinter und schräg daneben saßen in zwei Reihen Familienangehörige und Freunde.
Der Vorbeter forderte die Trauergemeinde auf, ihm zu folgen. Gemäß der Tradition trugen Familienmitglieder die Bahre zum Grab. Dort brachte der Rabbiner die Tote in die richtige Position. Gewänder und Position waren für alle Toten gleich. Denn das Judentum besagte, dass in der kommenden Welt alle gleich seien, wenn sie vor dem Schöpfer stehen.
Victor Koslovsky begann mit etwas festerer Stimme zu sprechen. Da er seine Grabrede jedoch auf Russisch hielt, konnte Assaf nur ahnen, was er sagte. Wahrscheinlich erzählte er von Marinas Kindheit, ihren Träumen und Plänen. Assaf wusste, dass Zipi den Vater nach seiner Ankunftin Israel getroffen und kurz über den Stand der Ermittlungen informiert hatte. Der Vater hatte also vom Doppelleben seiner Tochter erfahren, ein Umstand, der eine solche Rede sicher nicht leichter machte, an der Liebe für das
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