Die letzte Sünde: Kommissar Rosenthal ermittelt in Tel Aviv (German Edition)
grenzte, standen zwei Reisebusse, aus denen zahlreiche Asiaten strömten. Überwiegend Frauen schwirrten grüppchenweise in das Gotteshaus. Manche hatten bereits Taschentücher gezückt.
Assaf und Anat beobachteten erstaunt dieses Schauspiel.
»Wer sind all diese Leute?«, fragte Anat neugierig einen Geistlichen, der am Eingang der Trauerhalle stand.
»Das sind Filipinos, Thais, Chinesen. Gastarbeiter. Als sie gehört haben, dass eine von ihnen gestorben ist, haben sie die Anreisen organisiert, um ihr die letzte Ehre zu erweisen«, erklärte der junge Mann.
Assaf nickte beeindruckt. Noch nie hatte er in Israel so viele Asiaten auf einmal gesehen. Gemeinsam mit Anat betrat er das Friedhofsgelände, aber er konnte sich noch nicht durchringen, in die Trauerhalle mit dem aufgebahrten Sarg hineinzugehen. Also liefen sie an der Halle vorbei. Dahinter befanden sich die Gräber mit einem einzigartigen Ausblick:Der gesamte Komplex lag auf einer Anhöhe über dem Meer.
Der Kommissar blieb vor den Grabsteinen stehen und beobachtete, wie die Wellen im Hintergrund gegen kleine Felsen klatschten.
»Wow«, entfuhr es Anat, »was für ein magischer Ort.« Sie blieb ein Stück vor Assaf stehen. So verharrten sie eine Weile und schauten auf das Meer mit seinen kleinen verspielten Schaumkronen. Und seinen großen wilden Wellen. Und es dauerte einige Momente, bis sie sich von diesem Blick trennen konnten.
Wenig später betraten sie die Trauerhalle, in der in der Mitte der braune Holzsarg aufgebaut war. Davor hatte man einen großen Bilderrahmen aufgestellt, aus dem ihnen Joy zulächelte. Assaf musste schlucken. Anat griff nach seiner Hand und schaute ihn aufmunternd an.
Nachdem sich nach etlichen Minuten endlich alle Gäste der Trauergesellschaft eingefunden hatten, betrat der Pfarrer den Raum. Er trug ein langes weißes Gewand und hatte ein schwermütiges Gesicht. Andächtig schritt er durch den Raum, nickte dem einen oder anderen zu und machte schließlich neben dem Sarg vor einem Pult halt. Als er seine Rede auf Englisch begann, schauten sich Anat und Assaf überrascht an. Hinter dem Pfarrer hatte sich ein kleiner Chor aufgebaut, der, als der Pfarrer alle Anwesenden zur Verabschiedung von Joy Dao Suwanraksa begrüßt hatte, anfing zu singen. Assaf, der noch nie auf einer christlichen Beerdigung war, lauschte der Melodie und spürte, wie der Kloß in seinem Hals immer größer wurde.
Der Pfarrer erzählte von einem Mädchen, das aus dem armen Nordosten Thailands nach Israel gekommen war,um ein besseres Leben zu führen. Doch dass sie für diesen Traum einen hohen Preis hatte zahlen müssen. Assaf seufzte. Er versuchte, sich auf seinen Atem zu konzentrieren. Anat hielt immer noch seine Hand, und der Chor stimmte das nächste Lied an.
And I Will Rise when he calls my name
No more sorrow, No more pain
I Will Rise, on Eagle’s wings
Before my God fall on my kness, and rise
I Will Rise
Die Worte trafen ihn mitten ins Herz. Warum hatte er Joys Tod nicht verhindern können? Assaf schloss erschöpft die Augen, und alles, was er noch fühlen wollte, war Anats Hand in seiner. Und das Salz des Meeres auf seiner Haut.
KAPITEL 17
Als der Kommissar einige Stunden später die Wohnung von Chaim Wieler in einem schicken Vorort von Tel Aviv betrat, hatte er das Gefühl, seit der Beerdigung wären bereits mehrere Tage vergangen. Anat und er hatten hinterher noch zusammen am Meer gesessen. Sie hatte ihm immer wieder versichert, dass er keine Schuld an Joys Tod hatte. Am Ende hatte er ihr beinahe geglaubt und sich dankbar mit einer langen Umarmung von ihr verabschiedet.
Assaf begrüßte zuerst Sarah Wieler mit zwei Wangenküssen und überreichte ihr eine Flasche Rotwein, die er mit Yarons Hilfe ausgesucht hatte. Chaim Wieler klopfte ihm als Willkommensgruß kräftig auf die Schulter. Am Tisch saßen bereits die Kinder von Chaim und Sarah Wieler. Ihr Sohn Oded, der ein paar Jahre älter war als Assaf, mit seiner Frau Ifat sowie Wielers jüngere Tochter Gali mit ihrem Freund Dani. Die anderen beiden Söhne der Wielers hatten bereits Kinder und lebten im Norden des Landes. Obwohl sie es Schabbat-Essen nannten, war es ganz und gar keine religiöse Veranstaltung. Chaim Wieler kam aus einer traditionell-zionistischen Familie, die bereits Anfang des 20. Jahrhunderts nach Israel eingewandert war und von Religiosität nicht viel gehalten hatte. Lediglich die Schabbat-Kerzen zündete Sarah Wieler an. Allerdings, wie Assaf mit Blick nach draußen
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