Die letzte Wahrheit: Roman (German Edition)
Söhne zu Hause waren. So gern sie ihn noch weiter angeschrien hätte, das konnte sie den Jungs nicht antun. Auf die kam schon genug Kummer zu. Wenn Vera erst einmal von den Posts auf insidelaw.com erfuhr, was früher oder später passieren würde, würde sie Jeremy garantiert verlassen. Sie war nicht der Typ Frau, die Untreue still ertrug. Aber es gab andere Möglichkeiten herauszufinden, ob Jeremy die Wahrheit sagte. Sie konnte diese Kollegen anrufen, mit seiner Sekretärin sprechen. Oder noch besser, sie konnte Lew vorbeischicken.
» Welche Wahrheit habe ich deiner Meinung nach vertuscht? « , fragte sie. Sie wollte unbedingt wissen, was Jeremy damit gemeint hatte.
» Wie? « , fragte er erschöpft und verwirrt.
» Du hast gesagt, ich hätte mir alle Mühe gegeben‚ ›die Wahrheit zu vertuschen‹. Was hast du damit gemeint? «
» Ach, komm schon, Kate. Ich weiß es « , sagte Jeremy schließlich. » Ich weiß es schon seit Jahren. «
» Was weißt du? « , fauchte sie, bemüht, nicht zu laut zu werden. » Dass sie ein vertrauensvolles Mädchen war? Dass sie… «
» Dass sie von mir war « , sagte Jeremy und sah Kate direkt in die Augen. » Dass Amelia meine Tochter war. «
» Von dir? « , krächzte Kate. » Amelia war nicht deine Tochter, Jeremy. «
» Es kommt zeitlich genau hin « , sagte er, als glaubte er ihr kein Wort.
Wie konnte er es wagen, Amelia für sich zu beanspruchen, als gehörte ihm die ganze Welt.
» Das soll ein Witz sein, oder? « Sie wollte nicht mit ihm über das Thema reden. Sie wusste, was sie wusste, egal, was Jeremy sich einbildete. » Wir haben ein einziges Mal miteinander geschlafen, Jeremy. Ein Mal. Und du warst nicht der Einzige, der damals mehrere Sexualpartner hatte. Glaub mir, Amelia war nicht deine Tochter. Ich weiß, wer ihr Vater ist, und du bist es nicht. «
Aber Jeremy schüttelte den Kopf. Er schien Kate überhaupt nicht zuzuhören.
» Als ich hörte, dass du schwanger warst, habe ich mir natürlich meine Gedanken gemacht « , sagte er. » Doch als Amelia dann verschiedenfarbige Augen bekam, da war ich mir sicher. «
» Hör auf, Jeremy. « Kates Stimme klang dünn und schrill. Sie wusste, was sie wusste, warum geriet sie dann in Panik? » Bitte. «
» Komm schon, Kate. « Jeremys Blick war klar und unschuldig. Seine Stimme vollkommen ruhig. Er mochte sich vielleicht irren, aber er war fest davon überzeugt, dass Amelia seine Tochter gewesen war. Er fuhr sich mit der Hand durch das silbergraue Haar und neigte den Kopf in Kates Richtung, als wollte er etwas klarstellen. » Sieh mich an. Du kannst mir doch nicht allen Ernstes erzählen, dass du nicht auch zwei und zwei zusammengezählt hast. Mein Haar. Meine Augen. «
» Ich weiß nicht, was du dir einbildest, Jeremy « , flüsterte sie. Sie sollte gehen, auf der Stelle. Ehe er noch mehr sagte. » Aber du irrst dich. «
» Ich habe erst erfahren, dass ich das Waardenburg-Syndrom habe, als ich bereits mit zwanzig graue Haare bekam. Aber bei Amelia, bei ihren Augen, da musst du es doch sofort gewusst haben. «
Da hatte er recht. Bei Amelia war das Waardenburg-Syndrom diagnostiziert worden, als sie zehn Monate alt war, als das Säuglingsblaugrau ihrer Augen verschwand und sie ein blaues und ein braunes Auge bekam. Kates Hände waren feucht und zitterten. Jeremy hatte also dasselbe Syndrom, na und? Reiner Zufall. Es konnte nicht anders sein. Mit Daniel hatte sie mindestens ein Dutzend Mal geschlafen, mit Jeremy nur ein einziges Mal.
Jeremy konnte die Geschichte nicht umschreiben. Eine Geschichte, die Kate mit so großer Mühe verdrängt hatte. Es war ihr nicht leichtgefallen, aber sie hatte sich schon vor langer Zeit mit der Tatsache abgefunden, dass Daniel Amelias Vater war. Es gehörte zu den Dingen, die ihr Leben bestimmt hatten. Sie hatte Amelia mit einem Mann gezeugt, von dem sie nie viel gehalten hatte, deswegen hatte sie dafür gesorgt, dass Amelia ihn nie kennengelernt hatte. Und der Sex mit Daniel war zornig und rau gewesen. Es war das Gegenteil von Liebe gewesen, woraus Amelia gezeugt worden war. Und es war nur recht gewesen zu verhindern, dass ihre Tochter davon erfuhr und einen Vater kennenlernte, der bei Weitem kein so guter Mensch war, wie sie es einmal sein würde.
Kate war nur mit Daniel ins Bett gegangen, um die Schuldgefühle loszuwerden, die sie wegen des einen Mals mit Jeremy gehabt hatte– und warum war sie überhaupt mit dem ins Bett gegangen? All die Jahre später wusste sie es immer
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