Die letzte Walstatt - Covenant 03
er sich geduldet sah, obwohl er Durchlaß erhielt, murmelte er den hellen, schimmernden Baumstämmen »Erbarmen!« zu, bewegte sich noch umsichtiger vorwärts, vermied alles, was den Bäumen Grund zum Ärger sein mochte.
Seine Vorsicht bremste sein Tempo erheblich, und als die Morgenfrühe anbrach, befand er sich noch immer in allgemein südöstlicher Richtung mitten im Wald. Aber er näherte sich allmählich wieder dem Einflußbereich des Winters. Kälte durchzog die Luft, die Bäume standen kahler. Das Gras war nackter Erde gewichen. Durch die Düsternis konnte er voraus die ersten schmalen Streifen von Schnee erkennen. Und als die morgendliche Dämmerung in den miesen Tag floß, da begann er zu merken, was für ein Geschenk das weiße Gewand wirklich war. Durch seine Leichtigkeit ließ es sich bequem tragen, aber der besondere Stoff machte es gleichzeitig warm und behaglich, so daß es ihn vorm harschen Wind schützte. Er hielt es für ein besseres Geschenk als jedes Messer, jeden Stab oder Orkrest -Stein und war daher heilfroh, es um seinen Leib zu haben.
Sobald das Glimmen der Bäume dem Tageslicht gewichen war, legte er eine Pause ein und aß. Aber er brauchte wenig Rast, und nach einem kärglichen Mahl stand er auf und zog weiter. Der Wind begann ihn böig zu umwehen, Windstöße trafen ihn. Nach weniger als einem Kilometer verließ er die letzten Ausläufer der schwarzen Deckung des Waldes und wanderte hinaus in Fouls ungeminderte Bosheit.
Die Wildnis aus Schnee und Kälte, auf die seine stumpfen Sinne trafen, wirkte tatsächlich unverändert. Vom Waldrand aus fiel das Gelände weiterhin allmählich ab, durchsetzt vom Gewirr der flachen Höcker urzeitlicher Hügel, bis es an den matten Fluß grenzte, der kümmerlich nach Nordosten floß. Und über diesem gesamten Ausblick übte der Winter sein graues Werk der Verderbnis aus. Der gefrorene Erdboden sackte unter der unablässigen Schleifwirkung des Windes und dem Gewicht der Schneeverwehungen immer mehr in sich zusammen, bis er wie unwiderrufliche Trostlosigkeit oder Apathie aussah, einer Entartung von Muttererde und beabsichtigtem Sprießen ähnelte. Trotz des weißen Gewandes und seiner wiedererlangten Kräfte spürte Covenant die schneidende Schärfe der Kälte, und er krümmte sich zusammen, als laste die ganze Bürde des Landes auf seinen Schultern.
Einen Moment lang spähte er mit feuchten Augen in den Wind, um eine Richtung zu wählen. Ihm war unbekannt, wo er sich im Verhältnis zu den Untiefen aufhielt, durch die er den Fluß überquert hatte. Aber er war unerschütterlich davon überzeugt, daß er sich in Reichweite der Wanderlust-Furt befand, die an der Nordgrenze der Ebene von Ra lag. Falls seine Erinnerung an die Suche nach dem Stab des Gesetzes ihn nicht trog, mußte die Furt dort unten innerhalb seines Blickfeldes sein.
Er stemmte sich in den Wind und stapfte barfüßig über die mißhandelte Erde dahin, strebte zur Furt, als sei sie das Tor seiner veränderten Absicht.
Aber die Entfernung war größer, als sie von der Höhenlage des Waldes aus gewirkt hatte, ferner behinderten Wind, Schnee und Hänge sein Vorwärtskommen. Die Mittagszeit war angebrochen, bevor er den letzten Höhenrücken westlich der Furt erreichte.
Als sein Blick über die Kuppen des Höhenzugs hinausschweifte und hinunter zum Flußübergang glitt, sah er zu seiner Überraschung am Ufer einen Mann stehen.
Die Kapuze eines Steinhausener-Mantels verbarg das Gesicht des Mannes, aber er schaute Covenant entgegen, die Arme verschränkt, als warte er schon seit geraumer Zeit mit Ungeduld auf die Ankunft des Zweiflers. Vorsicht bewog Covenant dazu, sich zu ducken und in Deckung zu gehen. Aber der Mann winkte ihm fast augenblicklich lebhaft zu, rief etwas in Tönen herüber, die wie die Verzerrung einer Stimme klangen, die Covenant eigentlich hätte erkennen müssen. »Komm, Zweifler! Es mangelt dir an Geschick zum Verbergen oder Fliehen. Über eine Länge hinweg habe ich dich kommen sehen.«
Covenant zögerte, obwohl er sich in seiner hohlen Selbstsicherheit keineswegs fürchtete. Einen Moment später zuckte er die Achseln und strebte zur Furt. Als er den Hang hinabstieg, hielt er seinen Blick auf den Wartenden gerichtet und suchte nach irgendeinem Hinweis auf die Identität des Mannes. Zuerst vermutete er, der Mann könne Teil seiner vergessenen Erlebnisse im Wald und in der Höhle jener Frau sein – ein Bestandteil, den er möglicherweise nie völlig zu begreifen oder
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