Die letzte Zeugin
Sie versuchte, sich nicht zu verkrampfen, als die Kühlschranktür und die Türen der Küchenschränke auf- und zuklappten. Als es wieder still war, holte sie tief Luft und vertiefte sich von Neuem in die Arbeit.
Sie vergaß, dass er da war. In den nächsten beiden Stunden verlor sie sich in Codes und Sequenzen. Als sie Kopfschmerzen bekam und ihre Augen wehtaten, stand sie auf, um sich eine Tablette und etwas zu trinken zu holen.
Erst da fiel er ihr wieder ein.
Sie ging nach oben. Dort war es so still, dass sie schon glaubte, er habe sich schlafen gelegt, aber er war nicht im Schlafzimmer. Neugierig öffnete sie den Schrank.
Seine Kleider hingen neben ihren. Hemden, Hosen. Ein Anzug.
Sie hatte ihn noch nie in einem Anzug gesehen. Sie fuhr mit den Fingern über den Ärmel, während sie die Schuhe und Stiefel unten im Schrank betrachtete.
Sie teilten sich einen Schrank, dachte sie. Irgendwie kam ihr das viel intimer und bedeutender vor, als ein Bett zu teilen. Sie trat an die Kommode und zog die Schubladen auf. Sie hatte eigentlich umräumen wollen, damit er Platz hatte, hatte es aber über der Arbeit vergessen.
Er hatte es selber getan. Ein paar Dinge würde sie ändern müssen, aber eigentlich war es nur eine Kleinigkeit.
Sie schob die Schubladen wieder zu, trat einen Schritt zurück und blickte sich im Zimmer um. Sollte sie noch eine Kommode kaufen?
Würden sie eine brauchen?
Würde er bleiben?
Aus den Augenwinkeln sah sie eine Bewegung am Fenster. Als sie näher trat, stellte sie fest, dass er in ihrem Gemüsegarten mit der Hacke Unkraut jätete. Er hatte auch ihre Kartoffeln angehäufelt, ebenfalls etwas, was sie heute hatte erledigen wollen.
Sein T-Shirt war verschwitzt, seine Arme glänzten feucht, und auf dem Kopf trug er eine Baseballkappe.
Und auf einmal stieg völlig unerwartet Begeisterung in ihr auf. Oh, es war großartig. Seine Kleider hingen neben ihren im Schrank, und sie stand am Schlafzimmerfenster und beobachtete ihn, wie er unter dem knallblauen Himmel in ihrem Garten arbeitete.
Sie wandte sich vom Fenster ab und rannte hinunter.
In der Küche holte sie ein Dutzend Zitronen aus dem Kühlschrank, die sie vor ein paar Tagen gekauft hatte. Sie machte frische Limonade, füllte zwei hohe Gläser mit Eiswürfeln und goss die Limonade darüber. Dann stellte sie Krug und Gläser auf ein Tablett und trug es nach draußen.
»Es ist viel zu heiß zum Hacken«, rief sie ihm zu. »Du bist bestimmt schon dehydriert.«
»Ich bin gleich fertig.«
Er war bereits an der letzten Reihe, als sie mit dem Tablett zu ihm trat. »Die Limonade ist frisch.«
Er trank das Glas fast auf einen Zug aus. Der Schweiß lief ihm über die Schläfen. »Danke.«
»Du hast so viel gearbeitet.«
Er stützte sich auf die Hacke und musterte den Garten. »Ich hoffe, ich kann dieses Jahr die Butterbohnen auch ernten. Ich liebe Butterbohnen.«
»Das sind Lima-Bohnen.«
Er rollte die Schultern und trank den Rest seiner Limonade. »Ich habe nicht mehr im Garten gearbeitet, seit ich nach Little Rock gegangen bin. Ich wusste gar nicht, dass es mir so fehlt.«
»Aber es ist trotzdem zu heiß.« Sie berührte seine Hand, damit er sie ansah. »Ich habe dich eben nicht besonders freundlich empfangen.«
»Ab und zu ist die Arbeit wichtiger. Bei mir ist das ja auch so.«
»Im Moment ist meine Arbeit frustrierend. Ich dachte, ich wäre näher dran.«
»Dabei kann ich dir leider nicht helfen. Ich verstehe kaum etwas von dem, was du machst. Aber ich kann im Garten arbeiten, und ich kann diese Steaks grillen, die ich mitgebracht habe, damit du länger arbeiten kannst.« Er legte den Kopf schräg und musterte sie. »Aber ich würde sagen, wir machen jetzt besser alle beide eine Pause. Und ich muss dringend unter die Dusche.«
»Ja, du bist ganz verschwitzt«, stimmte sie zu und nahm die Hacke, um sie zu ihrem kleinen Gartenschuppen zu tragen. »Ich kann ja ein bisschen Kopfsalat und ein paar Kräuter ernten, um zu den Steaks Salat zu machen.«
»Ich hatte eigentlich an ›wir‹ gedacht.«
»Du hast ja im Garten schon mehr als deinen Teil Arbeit geleistet.«
»Ich meinte nicht, ›wir‹ im Garten.« Er ergriff ihre Hand und zog sie zum Haus. »Wir in der Dusche.«
»Ich sollte wirklich …«
»Mit mir nass werden.« Er zog seine schmutzigen Stiefel und seine verschwitzten Socken aus. »Habe ich dir eigentlich jemals von dem Teich erzählt, in dem wir früher immer geschwommen sind?«
»Nein.«
»Er ist gar nicht weit von
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