Die letzte Zeugin
Stolz waren zu tief für Tränen.
Seine Kinder, seine Liebe und seine Ambitionen für sie trieben ihn dazu, nach Amerika zu emigrieren. Dort konnte er ihnen alle Möglichkeiten, ein reicheres Leben bieten.
Und außerdem war es an der Zeit zu expandieren.
Seine älteste Tochter heiratete einen Anwalt, und bald hielt er sein erstes Enkelkind in den Armen. Und weinte. Seiner jüngeren Tochter – einer Künstlerin und Träumerin – richtete er ihre eigene Galerie ein.
Aber sein Sohn, ah, sein Sohn, ein Geschäftsmann mit einem Abschluss der Universität von Chicago, war sein legitimer Nachfolger. Sein Sohn war klug, stark, klar im Denken und kaltblütig.
Alle Hoffnungen und Sehnsüchte des kleinen Jungen aus dem Moskauer Ghetto hatten sich in seinem Sohn erfüllt.
Jetzt arbeitete er im Schattengarten seines Anwesens an der Gold Coast und wartete auf Ilya. Sergei war ein harter, gut aussehender Mann mit weißen Strähnen in seinem dichten schwarzen Haar und buschigen schwarzen Augenbrauen über dunklen Onyxaugen. Er hielt sich körperlich fit und befriedigte seine Frau, seine Geliebte und gelegentlich auch eine Hure.
Sein Garten war eine weitere Quelle von Stolz für ihn. Natürlich hatte er Landschaftsgärtner und Hilfskräfte, aber wenn er Zeit hatte, verbrachte er Stunden im Garten, grub und hackte in der Erde und pflanzte eigenhändig irgendwelche neuen Exemplare ein.
Sergei glaubte fest daran, dass er ein glückliches, sehr einfaches Leben als Gärtner geführt hätte, wenn er nicht Pakhan geworden wäre.
In seinen weiten Shorts, die tätowierten Sterne auf seinen Knien schmutzig von Erde und Mulch, grub er weiter, als er seinen Sohn kommen hörte.
»Hühnerscheiße«, sagte Sergei. »Sie ist billig, leicht zu bekommen, und sie macht die Pflanzen sehr glücklich.«
Ilya schüttelte den Kopf. Wie immer verwirrte es ihn, wie gerne sein Vater im Dreck wühlte. »Und sie riecht wie Hühnerscheiße.«
»Ein kleiner Preis, den man bezahlen muss. Meinen Hostas gefällt es jedenfalls, und da, sieh einmal! Das Lungenkraut wird bald blühen. Im Schatten finden sich so viele Geheimnisse.«
Dann blickte Sergei auf und blinzelte ein bisschen. »Und? Habt ihr sie gefunden?«
»Noch nicht. Aber wir finden sie schon noch. Ich habe einen Mann nach Harvard geschickt. Bald haben wir ihren Namen, und dann haben wir auch sie.«
»Frauen lügen, Ilya.«
»Ich glaube nicht, dass sie in dieser Hinsicht gelogen hat. Sie studiert Medizin dort und ist unglücklich. Ihre Mutter ist Chirurgin, hier in Chicago. Ich glaube, das stimmt auch. Wir suchen nach der Mutter.« Ilya hockte sich hin. »Ich will nicht ins Gefängnis.«
»Nein, du gehst nicht ins Gefängnis. Und Yakov auch nicht. Ich arbeite an anderen Lösungen. Aber es gefällt mir nicht, dass einer meiner besten Brigadiers jetzt in einer Zelle sitzt.«
»Er wird nicht reden.«
»Darüber mache ich mir keine Sorgen. Natürlich wird er nichts sagen und Yegor auch nicht. Die amerikanische Polizei? Musor. « Er schlenkerte abfällig mit dem Handgelenk. Für ihn waren sie nur Abfall. »Solche Männer können sie nicht brechen. Auch an dich kämen sie nicht heran, wenn wir den Richter mit der Kaution nicht überzeugen können. Aber dieses Mädchen, das macht mir Sorgen. Es macht mir Sorgen, Ilya, dass sie dabei war und noch am Leben ist. Es macht mir Sorgen, dass Yakov nicht wusste, dass sie und die andere da waren.«
»Wenn ich nicht aufgehalten worden wäre, wäre ich da gewesen und hätte es unterbunden. Dann gäbe es jetzt keine Zeugin.«
»Kommunikation, das war ein Problem. Und auch darum müssen wir uns kümmern.«
»Du hast gesagt, ich solle ihn im Auge behalten, Papa, ich solle in seiner Nähe bleiben, bis er für sein Stehlen bestraft werden könnte.« Ilya richtete sich auf und setzte die Sonnenbrille ab. »Am liebsten hätte ich ihm höchstpersönlich die Hand dafür abgeschnitten, dass er die Familie bestohlen hat. Du hast ihm alles gegeben, aber er wollte immer mehr. Mehr Geld, mehr Drogen, mehr Frauen, mehr Spaß. Mein Cousin. Suki .« Er knurrte das Wort für Verräter. »Er hat uns immer wieder ins Gesicht gespuckt, immer wieder. Und du warst so gut zu ihm, Papa.«
»Der Sohn des Vetters deiner Mutter. Wie konnte ich da nicht sein Bestes wollen? Und ich hatte immer noch Hoffnung.«
»Du hast ihn aufgenommen, ihn und Yakov.«
»Und Yakov hat sich immer wieder dieses Geschenks würdig erwiesen. Alexi?« Sergei zuckte mit den Schultern.
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