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Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)

Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)

Titel: Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Connor
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Schwangere finde? Ich soll nach ihr sehen.«
    »Geh draußen auf der Straße nach links. Sie wohnen in dem kleinen Haus, dessen Vordertür mit Eidechsen bemalt ist.«
    »Eidechsen?«
    Wicker grinste nur. »Frag Tilly danach. Das ist ihr Name. Dein Gepäck kannst du übrigens gern hierlassen. Niemand wird es anrühren, darauf gebe ich dir mein Wort.«
    Chris bot ihm die Hand dar, und Wicker schüttelte sie – er war der Erste in Valle, der es tat. Das war vertrauenerweckend genug. »Besten Dank.«
    »Was dich angeht«, sagte Wicker zu Lem, »geh wieder an die Arbeit. Du musst bis zur nächsten Feuernacht warten, bevor du etwas Hochprozentiges zu trinken bekommst. Vorschrift ist Vorschrift.«
    Lem stapfte mit einer Flut von gemurmelten Verwünschungen davon. Wicker zuckte nur mit den Schultern und ging dann wieder mit dem Besen an die Arbeit. Vermutlich war er fast zwei Meter groß, aber mit gebückten Schultern wirkte er kleiner.
    Chris ertappte sich dabei, den Mann geradezu anzustarren. Welch eine Kuriosität. Er hatte seit Langem kaum Leute außerhalb eines bestimmten Altersspektrums gesehen. Fünfzehn bis etwa fünfzig – das schien die Bandbreite zu sein. Zu Junge und zu Alte hatten kaum Überlebenschancen.
    Mit einem letzten begehrlichen Blick auf die Vor ratsregale wandte er sich ab und trat wieder ins Tageslicht heraus. Er würde sehen, was er für diese Tilly tun konnte, und sich damit das Recht verdienen, zu essen und sich an einem sicheren Ort auszuruhen. Darauf kam es ihm an. Namen und Lebensgeschichten in Erfahrung zu bringen war nicht von Bedeutung. Nicht mehr.
    Die Stadtbewohner behielten ihn im Auge, ganz gleich, wohin er ging. Er war sich seit Ewigkeiten nicht mehr so auffällig vorgekommen, da er sich normalerweise in den Schatten und auf einsamen Pfaden fortbewegte. Er trug nur eine kleine Auswahl an Medikamenten bei sich und hielt den Kopf mit freundlichem, aber ansonsten neutralem Gesichtsausdruck hoch erhoben.
    Tatsächlich fand er bald eine Tür, die mit Eidechsen bemalt war. Sie stand halb offen, um einen Luftzug durchs Haus strömen zu lassen. Er klopfte an den hölzernen Rahmen. Die melodische Stimme einer Frau bat ihn herein. Chris hatte eben erst den Türgriff berührt, als sie in Sicht kam.
    »Oh!«
    Die Frau, Tilly, stand in der Tür, so sichtlich schwanger, dass Chris sie anstarrte. Er hatte seit fünf Jahren keine schwangere Frau mehr gesehen. Sie hätte einer ausgestorbenen Art angehören können, die mit ihr wiederauferstanden war.
    »Entschuldigung«, sagte er. »Ich bin Chris Welsh. Vielleicht hat Rosa dir ja gesagt, dass ich nach dir sehen soll?«
    »Oh, du bist also der neue Arzt. Komm herein.«
    Sie führte ihn ins Haus und in eine winzige Küchenecke, in der ein Tisch mit zwei Stühlen stand.
    »Wir sehen hier einfach so selten neue Gesichter«, sagte sie. »Bitte setz dich doch. Ich habe schon Gerüchte gehört, dass du in der Stadt bist, und Rosa ist gestern vorbeigekommen und hat das bestätigt. Ich kann dir gar nicht sagen, wie erleichtert Jameson und ich sind, dass du hier bist.«
    »Jameson? Ist das der Vater des Babys?«
    »Genau. Er ist jetzt auf Patrouille, aber er weiß, dass du vorbeikommen wolltest, nachdem du dich ausgeruht hast. Ich kann mir nicht vorstellen, wie schwer es für dich gewesen sein muss, die ganze Zeit allein da draußen zu leben. Eines sage ich dir, wenn ich Jameson nicht hätte, wäre ich schon längst gestorben!«
    Chris umklammerte die Kante des abgenutzten Holztisches. Seinem Gehirn wurde bei dem Versuch, mit ihrem schnellen Geplapper mitzuhalten, fast schwindelig. Sie hatte auch noch einen eigentümlichen Akzent, als würde sie aus der Oberschicht von Cape Cod stammen. Sie sprechen zu hören war, als würde man Geistern aus einem anderen Leben lauschen.
    »Darf ich dir etwas zu trinken anbieten?«
    »Gern, was auch immer.«
    Tilly strich sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht und schob sie sich hinter das Ohr. Sie war elfengleich, zierlich, ein sonniges Gemüt. Vielleicht übertrieb sie nicht, wenn sie behauptete, dass der Vater ihres Babys ihr geholfen hatte zu überleben. Sie wirkte nicht stark genug, das Gewicht ihres Kindes zu tragen, ganz zu schweigen davon, sich gegen Dämonenhunde und feindliche Gestaltwandler zu verteidigen.
    Sie brachte ihm ein Glas kühles Wasser, das leicht nach Kupfer schmeckte, aber er hatte schon Schlimmeres getrunken. »Ich bin kein echter Arzt«, fühlte er sich bemüßigt zu sagen.
    Tilly winkte ab.

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