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Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)

Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)

Titel: Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ellen Connor
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kleinen Hauses in die Hitze hinauszutreten war ein Schock für den ganzen Körper. Sie hatte sich dieses Gebäude ausgesucht, weil man von ihm aus die beste Aussicht in der ganzen Stadt hatte – und auch, weil der Luftzug es hervorragend kühlte. Rosa hob eine Hand zum Gruß, als sie die Hauptstraße entlanggingen. Zu sehen, wie alle zur Nacht nach Hause zurückkehrten oder sich zu abendlichen Patrouillen formierten, verschaffte ihr das Gefühl, etwas geleistet zu haben. Wieder einmal hatte sie einen Tag gut genutzt.
    »Es gibt hier nicht viele Frauen«, bemerkte Chris.
    »Das ist ein Problem, aber wir arbeiten daran. Wir haben die erste Schwangerschaft.« Sie konnte den Stolz, der in ihrem Tonfall lag, nicht verhehlen.
    Es war vor allem Tillys Entscheidung gewesen, aber das Baby bedeutete für Valle de Bravo etwas, das es bis her nicht gegeben hatte: Hoffnung auf eine Zukunft statt auf bloßes Überleben. Wenn sie sich vermehren konnten, würden sie es vielleicht schaffen. Womöglich würde es ihren Söhnen und Töchtern an diesem gefährlichen Ort einmal gut gehen.
    Welsh schüttelte den Kopf. »Ihr müsst ja verrückt sein, ein Kind in diese Welt zu setzen.«

6
    Chris fuhr aus dem Schlaf hoch. Verblassende Bilder von Gewalt und verklingende Motorengeräusche vernebelten ihm noch immer den Verstand. Seine Umgebung war ihm derart unvertraut, dass er einen Moment lang in Panik geriet. So viel Komfort war er nicht gewohnt.
    Langsam beruhigte sich seine Atmung wieder. Er befand sich in einem Gemeinschaftsraum über der Taverne. Sonnenlicht strömte im spitzen Winkel durch die Fenster, also war es noch früh am Tag. Sein Körper fühlte sich gebeutelt und abgekämpft an, als ob die Widerstandskraft, die er sich in der Wüste erworben hatte, nach einer Nacht in einem Haus schon gelitten hatte.
    Leise Männerstimmen waren im ganzen Raum und unter den Dielen zu hören. Er spannte sich sofort an und griff nach seiner Beretta. Stimmen bedeuteten Menschen, und er konnte sich in menschlicher Gesellschaft nie ganz sicher fühlen. Manche Leute waren imstande, einem Mann so beiläufig die Haut abzuziehen und ihm seinen hart erkämpften Besitz zu rauben, wie sie atmeten. Chris war zwar selbst noch nicht so weit gegangen, aber er wusste genug, um sich vor denen in Acht zu nehmen, die es getan hatten.
    Wieder zwang er seinen Körper zu akzeptieren, was sein Verstand wusste. Er war an einem sicheren Zufluchtsort – dem größten, den er in den Tagen seit dem Wandel je gesehen hatte.
    Und dann gab es noch sie. La jefa . Sie war auch hier.
    »Gut geschlafen, Doc?«
    Er erkannte in dem Sprecher Manuel, einen von Rosas jungen Wachtposten. »Klar.«
    »Das kann man wohl sagen«, sagte Manuel und lachte leise. »Wir wollten schon überprüfen, ob du noch atmest, und uns deine Sachen unter den Nagel reißen. Du hast über vierundzwanzig Stunden lang geschlafen.«
    Chris blinzelte. Er hatte angenommen, er sei erst am Abend zuvor eingeschlafen. Vielleicht erklärte das, warum ihm alles wehtat. Er hatte einfach abgeschaltet. Vielleicht war sein Unterbewusstsein überzeugt gewesen, dass er hier sicher war, und hatte ihm den Segen einer langen Erholung gegönnt. Er schlief schon so lange immer nur stundenweise; deshalb erleichterte es ihn fast zu wissen, dass diese überlebensnotwendige Fähigkeit kein Fluch war.
    Doch in dem Wissen, dass er ein Publikum hatte, schob er seine Erschöpfung beiseite. Er wollte ein paar Tauschgeschäfte abschließen, und er wollte verdammt noch mal mehr zu essen. In der Wüste nach Nahrung zu suchen war kein echtes Leben, sondern bloßes Überleben. Die paar Stunden, die er schon in Valle verbracht hatte, stellten einen größeren Luxus dar, als er ihn je für möglich gehalten hätte. Er war nicht zu stolz einzugestehen, dass es sehr verlockend war, noch ein wenig mehr davon zu kosten.
    Das hieß also, dass er für die Stadt würde tun müssen, was er konnte, zumindest ein paar Tage lang. Er würde sich satt essen, sich neu ausrüsten und als stärkerer Mann wieder aufbrechen. Chris sah keinen Sinn darin, Wurzeln zu schlagen. Ein Leben von der Hand in den Mund war viel einfacher, wenn man allein war.
    Eingedenk der argwöhnischen Blicke der jungen Bravos, mit denen er sich die Unterkunft teilte, zog er sich seine Kleider zum Wechseln an. Der fadenscheinige Stoff und das Fehlen zweier Knöpfe sorgten dafür, dass er sich fast schämte, sie in menschlicher Gesellschaft zu tragen, aber darum hatte er sich schon

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