Die letzte Zuflucht: Roman (German Edition)
trat sie durch die Tür und stellte fest, dass Chris auf sie wartete. Er hatte sich schon genug assimiliert, um den schwarzen Trauerflor zu tragen, obwohl er nicht um jemanden trauern konnte, den er noch nicht lange kannte. Doch es war eine Ehrbezeugung.
»Wir müssen reden«, sagte er ohne weitere Einleitung.
Sie schüttelte den Kopf. »Es muss heute Morgen jemand Wache halten. Und ich bestimme dich dazu.«
»Der Wachturm liegt auf der anderen Seite des Tals.« Ein Muskel zuckte an seinem Kinn. »Fern der Trauerfeier. Fern von dir . Werde ich etwa bestraft?«
Sie seufzte. Sie hatte nicht die Zeit, ihm zu erklären, dass sie auf dem Turm jemanden brauchte, dem sie vertrauen konnte. Und im Augenblick vertraute sie nur Chris, weil er neu war, da sie nicht wusste, wie sehr Falco die anderen Bravos schon beeinflusst hatte. Und Chris gehörte ihr , auf weniger oberflächliche Art als die anderen.
»Geh einfach. Bitte.« Sie bemühte sich, den Befehl mit diesem letzten, sanften Wort zu versüßen. Dem zornigen Klang seiner Stiefeltritte nach zu urteilen, als er davonstapfte, hatte es nicht funktioniert.
Darum kann ich mich jetzt nicht kümmern.
Rosa eilte zur Plaza. Dort waren schon alle versammelt. Sie trugen ihre besten Kleider und hatten sich, um Manuel die letzte Ehre zu erweisen, einen Trauerflor um den Arm gebunden. Dies war der einzige Zeitpunkt, zu dem sie sich alle ohne Waffen versammelten. Rosa hatte sich schon oft Sorgen gemacht, dass das die perfekte Gelegenheit zu einem Angriff sein könnte, aber kein Außenstehender wusste so viel über ihre Bräuche. Wenn die Staubpiraten es jemals herausfanden, dann würde sie wissen, dass es unter ihren Leuten einen Verräter gab.
Bei dem Gedanken durchlief sie ein kalter Schauer.
Sie konzentrierte sich auf die Gemeinde, die Trauernden und Betrübten. Wie seltsam für eine frühere Hure, zur Anführerin und Teilzeitseelsorgerin zu werden. Der Wandel hatte viele seltsame und wunderbare Entwicklungen ausgelöst. In mancherlei Hinsicht war die neue Welt trotz all ihrer Brutalität sauberer und einfacher.
»Wir haben jemanden verloren, der uns teuer war«, begann sie. »Aber die Zeit wird uns den Schmerz nehmen, bis wir uns nur noch an das Schöne in seinem Le ben erinnern, und es besteht immer die Möglichkeit einer Rückkehr. Die Natur versteht sich darauf, das wiederzuverwenden, was in die Erde zurückkehrt. Warum sollte es mit der Seele anders sein? Vielleicht können wir im Lächeln eines Neugeborenen auch Manuel erblicken.«
Sie warf einen Blick zu Tilly hinüber, als sie das sagte, und hoffte, es würde der anderen Frau nichts ausma chen, dass sie ihr Kind so instrumentalisierte. Tilly nickte nur.
Beruhigt fuhr Rosa fort: »Wir werden das ehrende Gedenken mit Rio beginnen, Manuels engstem Freund.«
Rosa trat beiseite, sodass Rio im Mittelpunkt stehen konnte.
Der Junge senkte den Kopf. »Ich erinnere mich daran, wie Manny nach Valle gekommen ist. Er war nur ein bisschen älter als ich, und wir wurden gute Freunde. Wir haben miteinander getrunken und hatten zusammen unsere erste Frau.« Leises Gelächter durchlief die Menge, und Rio wurde rot. »Na ja, nicht ganz. Ich wollte sagen, dass wir zusammen erwachsen geworden sind, schätze ich, und das Leben wird ohne ihn beschissen sein.« Die Stimme versagte ihm. »Ich werde dich vermissen, mano .«
Rosa bemerkte, dass Singer Rio mit tränenfeuchten Augen ansah. Rio versuchte schon seit Monaten, ihr Interesse zu erregen, und anscheinend hatte sie doch eine Schwäche für ihn. Arme Kinder. In einer Welt wie dieser aufzuwachsen … Allerdings war die Welt vor dem Wandel auch kein Paradies gewesen.
Brick kam als Nächster an die Reihe und sprach über Manuels Tapferkeit. Ex fand einige Worte über die Bereitwilligkeit, mit der er sich an allem beteiligt hatte, und Jolene weinte, als sie zugab, dass sie als Erste das Bett mit ihm geteilt hatte. Das war mehr, als irgendjemand hatte wissen wollen, aber die Menschen trauerten nun einmal jeweils auf ihre Weise. Es stand Rosa nicht zu, das unangemessen zu finden. Nachdem alle, die etwas sagen wollten, gesprochen hatten, beschloss sie die Trauerfeier mit einem kurzen Gebet, demselben, das sie für seine Seele gesprochen hatte, als er im Sterben gelegen hatte. Sie kannte schließlich nicht viele Gebete. Es würde reichen müssen.
Rio führte den Trauerzug aus der Stadt zu dem Felsplateau an, auf der sie die Scheiterhaufen für die Toten errichteten. Seit dem Wandel
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